Frühaufsteher trifft Nachtschwärmer am Karlsplatz in Wien
Während die ersten Angestellten mit Coffee-to-go Bechern in der Hand in ihre Arbeit eilen, räkeln sich einige übrig gebliebene Popfestbesucher auf den Parkbänken am Karlsplatz. Oder ist das hier schon der Resselpark?
So genau weiß das niemand, am Karlsplatz verschwimmen die Grenzen. Pop oder Klassik, Sandler oder Anzugträger, Stadtgärtnerinnen oder Tourist, der Karlsplatz (oder eben Resselpark) ist für alle da und hat für jeden etwas zu bieten. Und zwar rund um die Uhr, das ganze Jahr über, aber am aller schönsten ist der Platz im Sommer.
Touristen wuseln mit ihren Stadtplänen und Handykameras auf dem Platz herum und wissen oft gar nicht, wo sie zuerst zu fotografieren beginnen sollen.
Das Künstlerhaus oder die beiden, von Otto Wagner entworfenen, Stadtbahnpavillons? Die barocke Karlskirche, die mit der Kuppel und den beiden Säulen links und rechts an eine Moschee erinnert, oder das Gebäude vom Musikverein, wo alljährlich das Neujahrskonzert Millionen Menschen vor den Fernsehern verzückt?
Fragend stehen sie vor einem Gebäude mit großen silbernen Buchstaben: SÜDBAHNHOF. Der Südbahnhof? Am Karlsplatz? Sie sind vor dem Wien Museum gelandet, die Lettern wurden am Südbahnhof abmontiert und hier wieder neu aufgebaut. Mittlerweile sind die Lettern verschwunden, das Wien Museum verbirgt sich hinter Bauzäunen, es wird aufgehübscht, verschönert oder auch nicht.
Vor Jahren lief im Museum eine Sonderausstellung mit dem Titel „Wiener Typen“. Aber wozu brauche ich eine Sonderausstellung, wenn ich mir die Wiener Typen „live“ am Karlsplatz ansehen kann?
Den Sandler, der friedlich auf einer Parkbank schläft, seinen mit Plastiksackerln gefüllten Einkaufswagen hat er fein säuberlich neben sich geparkt. Die alte Dame mit Strohhut und rosa Spitzenhandschuhen, die in einem Zwillingskinderwagen ihre beiden Dackel spazieren führt. Die Stadtgärtnerinnen und -gärtner, entweder neue Blumenrabatte gestaltend oder Unkraut jätend.
Der Eisverkäufer, umringt von Kindern, die um ein Eis betteln. Die Tangotänzer, die gekonnt ihre Hüften kreisen lassen und unter einem abendlichen Sternenhimmel ihre Runden drehen. Das Liebespaar, das sich einen Drink in der Bar Calypso genehmigt. Sie machen es sich auf riesigen Polstern vor dem Karlsplatzbrunnen bequem und bewundern die Skulptur von Henry Moore.
Kurzfristig war am Karlsplatz auch ein Konzertflügel zu bewundern. Er wurde in einer Nacht- und Nebelaktion mitten im Brunnen abgestellt. Er wurde bespielt und fotografiert, sowohl von Touristen als auch von Wienern.
Diese Sehenswürdigkeit überlebte nicht lange und wurde von der Stadt Wien „aus Sicherheitsgründen“ entfernt.
Manche Anziehungspunkte überleben allerdings länger. Ich bin mir sicher, wir sehen uns nächsten Sommer am Karlsplatz. Beim alljährlichen Popfest oder beim „Kino unter Sternen“, beim Tango tanzen oder beim Caipirinha schlürfen. Ich wünsche euch noch einen schönen Sommer!
GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.