Die 24 Stunden Burgenland extrem Tour 2015
Seit etwa einer Viertelstunde grübelte ich nun schon über diese Frage nach: Wie schnell wachsen einem Menschen Schwimmhäute zwischen den Zehen? Bei mir müsste es bald soweit sein. Dabei habe ich noch in Fertöhomok Socken gewechselt und bin in vermeintlich wasserdichte Schuhe umgestiegen. Wasserdicht! Ha!
Um 4:30, als in Oggau der Startschuss der vierten 24 Stunden Burgenland Extrem Tour rund um den Neusiedlersee ertönte, war die Welt noch in Ordnung. Das Startfeld hatte sich verdoppelt. Statt 600 Personen wie im vergangenen Jahr fanden sich heuer 1200 Laufbegeisterte, Weit- und Normal-Wanderer, Marathonläufer und Pilger im Burgenland ein. Die Stimmung war hervorragend, das Wetter perfekt. Das es nicht so bleiben würde, war allen klar, die dem Wetterbericht des heurigen Tages Glauben schenkten.
Ich gönnte mir heuer die Luxusvariante der 24-Stunden-extrem-Tour: Ein Begleitfahrzeug samt Begleitung, jederzeit abrufbereit. Der Kofferraum und die Rückbank waren vollgefüllt mit Ersatzbekleidung und Schuhen, die jede Nordpolexpedition und Himalayabesteigung in den Schatten stellten. Sogar Spikes hatte ich mir gekauft. In meinem Rucksack hatte ich die wichtigsten Dinge wie Müsliriegel, Ersatzsocken und eine Thermoskanne mit Tee verstaut. Mein Ziel? 60 plus eins. Wenigstens einen Kilometer wollte ich weitergehen als letztes Jahr, als ich ohne große Vorbereitung Apetlon erreichte und vorbereitet hatte ich mich heuer genauso wenig.
Meinen Mitgehern zuzuhören war streckenweise ein Vergnügen. Ich nahm Teil an Erziehungsproblemen, Urlaubsplänen, Bundesheergschichtln, Essgewohnheiten (vegan oder vegetarisch) und Marathonvorbereitungen. Tipps gab es natürlich auch. Der Franziskusweg in Italien ist genauso schön wie der Jakobsweg in Spanien, aber weniger überlaufen. Ob Überhosen wasserdicht sind kann man in der Dusche testen. Die Geschichte mit den tennisballgroßen Blasen an den Füßen hätte ich jedoch lieber überhört.
Die ungarische Grenze war relativ schnell erreicht, meine erste größere Pause wollte ich in Balf einlegen. Hier hatte sich Alex stationiert, der Koodinator des 24h-extrem Fuhrparks und der mobilen Labestellen, immer ein Ohr am Telefon und die Hände voll mit Wasserflaschen, die er aus dem Kofferraum schaufelte. „Na, heuer bis Illmitz?“, wurde ich begrüßt. Woher wusste er von meinem heimlichen Wunsch?
Auf dem Programm standen Tee trinken und Socken wechseln, eine reine Vorsichtsmaßnahme. Denn noch war nichts nass. Das sollte sich schlagartig ändern. Es begann zu tröpfeln. Unter dem misstrauischen Blick eines Schäferhundes (in Balf hat jedes Haus mindestens einen Hund) zog ich meine Regenjacke aus dem Rucksack und mir über. Es wird schon nicht so schlimm werden, dachte ich mir. Ich irrte mich. Es wurde schlimmer.
Die wasserdichte Regenhose hielt sich nicht an ihr Werbeversprechen und ließ den Regen durch, und zwar genau an der Stelle, wo die Regenjacke endete: an den Oberschenkeln. Dieses Wasser hielt sich an die Gesetze der Schwerkraft und rann Richtung Knie, um sich über die Unterschenkeln und die Fußknöcheln einen Weg in die Schuhe zu bahnen. Mission accomplished! Nach circa einer halben Stunde waren meine Schuhe nass, und zwar nicht von außen, sondern von innen. An meine Begleitung schickte ich folgendes SMS:“ Kannst du mir ein Handtuch mitnehmen?“, wohl wissend dass wir keines eingepackt hatten. Außerdem musste ich aufs Klo, die Nachricht: „Kannst du mir ein Mobilklo mitnehmen?“ verkniff ich mir aber.
Die Rettung nahte in Fertöhomok, knapp vor der dritten Versorgungsstation. Das Gemeindehaus hatte geöffnet, die vier WCs waren heiß begehrt. Ich forderte mein Begleitfahrzeug an, um Socken, Schuhe und Jacke zu wechseln. Statt eines Handtuchs hatte meine Begleitung einen Bademantel beim ADEG erstanden, Handtücher waren gerade nicht so in Mode. Sicherheitshalber legte ich noch die Gamaschen an.
Schnell trank ich eine Tasse Tee, ließ den Rucksack im Auto zurück und verschwand mit trockenen Schuhen im Nationalpark. Die ersten 100 Meter hüpfte ich fast vor Freude. Trockene Schuhe! Kein Gepäck am Rücken! Das Hüpfen verwandelte sich in Schlittern und Gleiten im Schneegatsch. Hatte ich etwas versäumt? Wurden heuer Haltungsnoten vergeben? Mich hätte es nicht gewundert wären Wanderer im Matsch steckengeblieben und hätten um Hilfe gerufen. Es gab nämlich nur zwei Optionen: tiefe Latschen und extrem tiefe Latschen. Die Option keine Latschen gab es nicht.
Der Erdmatsch bildete in Kombination mit den handtellergroßen Schneeflocken, die plötzlich vom Himmel fielen, ein neues Bindemittel für die Bauindustrie. Alle drei Schritte klebte ein Brocken an den Schuhen, Zement ist nichts dagegen.
Wann nimmt dieser Wahnsinn ein Ende? Immer wenn ich dachte, schlimmer kann es nicht mehr werden, wurde es schlimmer. Noch mehr Matsch, noch größere Pfützen. Fragen tauchten auf: Soll ich nächstes Jahr Gummistiefel einpacken? Wie war das noch mal mit den Schwimmhäuten? Zur Ablenkung pustete ich mir die Regentropfen von der Nase, doch die Motivation war dahin. Ich sehnte mich nach einer Badewanne, nach der Hotelsauna, nach einem Strandurlaub auf den Malediven.
Das Kramen nach dem Handy war Schwerstarbeit und als ich es endlich mit klammen Fingern in den Händen hielt, hatte ich eine SMS erhalten: „Brauchst du was? Ich geh Dir entgegen!“ Meine Laune sank nicht nur in den Keller, sondern in den Erdmittelpunkt. Und das mein Anruf „Wo bist Du?“ mit den Worten „Auf der Straße!“ beantwortet wurde, trug ebenfalls nicht zu meiner Erheiterung bei. Ich war stinksauer. Ich selbst hatte den Einserkanal noch nicht erreicht, von welcher Straße die Rede war, war mir ein Rätsel. Abholung und Saunabesuch rückten in weite Ferne.
Ich dachte immer nur an den nächsten Schritt. Meine Schuhe spukten bereits Wasserfontänen. Netterweise kam scharfer Gegenwind auf, der meine Hose trocknete. Die Gestalten vor mir sahen aus wie unförmige Michelin-Männchen, die sich langsam und zockelnd durch eine mittlerweile tief verschneite Winterlandschaft bewegten.
Und trotzdem, hier kam es mir in den Sinn: Ich hatte mir diese Veranstaltung ausgesucht. Ich ging freiwillig mit. Ich DARF gehen und MUSS nicht. Nicht so wie die Kinder auf den Kapverden, die ich heuer im Jänner gesehen hatte, die 15 km zur nächsten Wasserleitung marschieren und mit Kanistern am Kopf das Trinkwasser den Weg retour nach Hause transportieren. Ich DARF gehen, weil ich es KANN. Nicht so wie mein Onkel, der vor zwei Wochen verstorben war. Kurz nach seiner Pensionierung fiel er beim Kirschen pflücken vom Baum und verbrachte seine restlichen vierzehn Lebensjahre im Rollstuhl.
Kann man einem Menschen, der einem eine Kanne Tee entgegenbringt, böse sein? Nein, kann man nicht. Dankbar nahm ich Tee, Müsliriegel und eine Banane in Empfang. Die nächsten Kilometer gingen wir gemeinsam. Das Auto stand wenige Kilometer vor Apetlon. Nein, ich wollte nicht mehr weiter, keinen Schritt mehr. Warum ich nochmals die Schuhe wechselte? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht mehr. Aber so wenige Kilometer vor Apetlon aufzugeben kam mir irgendwie eigenartig vor.
Müde, so unglaublich müde, landete ich in Apetlon. Die Luft im Wirtshaus war zum Schneiden. Es roch nach alten ungewaschenen Socken, in Verbindung mit Würstl und Bier eine mörderische Mischung. Ich wollte nur raus an die frische Luft. Illmitz ist nur drei Kilometer entfernt. Schritt für Schritt ging ich die Straße entlang und stemmte mich gegen den Wind. Endlich das Ortsschild. Das Auto stand in der Ortsmitte. Ich war viel zu müde um mich zu freuen.
Noch im Auto am Weg nach Rust schwor ich mir und meiner Begleitung, nächstes Jahr nicht mitzugehen. Egal, welche Ausrüstung man einpackte, es würde immer etwas fehlen. Ich hatte zwei Paar Schuhe, vier Paar Socken und eine Regenjacke verschlissen.
Ich kroch mehr aus dem Auto ins Hotelzimmer als ich ging. Das halbstündige heiße Bad half mir mich aufzuwärmen. Fast schlief ich auf dem Sofa ein, es war sieben Uhr abends. Wir wollten noch etwas essen gehen, ich hielt den Griff der Türe in der Hand und meinte gedankenverloren zu meinem Partner: „Du, aber das mit den Handtüchern müssen wir nächstes Jahr besser organisieren.“ Er lachte.
Ein herzliches Dankeschön an alle die dieses Event organisiert, gesponsert, unterstützt, begleitet und geholfen haben.
Ein extra Dankeschön an meine Begleitung. Ohne Dich hätte ich es nicht geschafft.
124 Personen haben es ins Ziel geschafft. Ihr seid super!
Ebenfalls unterwegs war das Ultralaufteam Heustadlwasser. Hier geht’s zum Bericht:
http://www.ultralaufteam.at/index.php/de/beitraege/103-24-stunden-burgenland-extrem-tour-2015-gestrandet-in-podersdorf
Ins Ziel geschafft haben es die Running Twins:
http://therunningtwins.com/2015/01/31/24-h-burgenland-extrem/
16 Kommentare
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
Oh Gott Gudrun, extrem ist da ja noch harmlos was ich bei den Fotos sehe! Gratuliere auf jeden Fall das du durchgehalten hast.
LG Tanja
Ich habe mein Ziel erreicht! Und in Wirklichkeit war es schlimmer wie auf den Fotos, da hast Du recht. Aber ansonsten wärs ja auch keine ExtremTour gewesen…
Ja es war „grenzwertig“! Die Radwege bis Neusiedl waren geflutet! Man musste sie immer links oder rechts (schneegatschmäßig) umgehen oder absaufen! Danach war der „Matschger“ gefroren und das Vorankommen ging auf die Konditionsreserven. Auch permanente Konzentration war ob der windunterstützten Rutschpartien angesagt. Von 21 war ich 16 Stunden nass unterwegs! Immer mit der Startgarnitur! Bin ja schon nass zur Welt gekommen! Gratuliere dir zu deinem Stehvermögen! G.l.G. aus Wien, Andy
Naja, Stehvermögen…Du hast es geschafft! In 21 Stunden bist du 120 km gegangen, gratuliere!!!
Hallo,
einfach toll zu lesen dein Bericht über diesen EXTREMEN Tag. Wir mussten wirklich alle an unsere Grenzen gehen. Auch vielen, vielen Dank für das verlinken unseres Berichtes auf deinem Blog. Wünschen dir weiterhin viel Spaß auf deinen Reisen.
GLG TheRunningTwins 🙂
Ich wünsche euch ebenfalls alles Gute für Eure weiteren Läufe und Bewerbe! Wir sehen uns hoffentlich 2016 bei der Burgenland Extrem Tour!
Einmal in meinem Leben möchte ich wieder so fit sein, dass ich eine solche Tour überstehen könnte.
Mit Begleitfahrzeug!
Eine saubere Leistung, meinen Respekt.
LG
Sabienes
Liebe Sabiene, du kannst auch einen Kilometer gehen und dann aufhören. Es geht eigentlich nur um den ersten Schritt. Diesen zu machen ist schon sehr, sehr mutig! Bei der 24h extrem Tour gibts übrigens keine Zeitmessung. Jeder ist so schnell oder langsam wie er glaubt…
NOchmal gelesen und noch mehr beeindruckt, Gudrun! Das mit dem Begleitfahrzeug ist eine sehr gute Sache, sowohl organisatorisch als auch psychologisch – und bademanteltechnisch.
GUmmistiefel empfehle ich als Weinviertel-Gatsch-Horror Erprobte nicht, da pickt der Schlamm noch viel besser.
GUDRUN VOR!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
lg
Angelika
Na gut, kommen eben keine Gummistiefel auf die Packliste,. Und nächstes Jahr mit Begleithubschrauber, denn es gibt ein paar Stellen, da kommt man mit dem Auto nicht hin…
Wow, toller Bericht! Meine Burgenlandausflüge waren bei weitem nicht so extrem (abgesehen von Extremweinverkostungen und extrem viel Spanferkel essen), aber geregnet hat’s ständig.
Ich glaub, ich steig um aufs Weinverkosten und aufs Spanferkel essen, weil in Innenräumen machbar… Nein, im Ernst, der Termin für die nächste BurgenlandExtremTour ist schon im Kalender notiert!
Wow, was für eine Challenge! Danke für den tollen Bericht, er ist sehr spannend zu lesen!
Bist Du nächstes Jahr dabei?
OMG, das ist ja der Wahnsinn! Du bist der Wahnsinn, Gudrun! Also echt Hut ab! Das würde ich nicht packen!
Der Bericht lest sich übrigens richtig gut! Du kannst echt gut schreiben!!
Viele liebe Grüße
Julie
Danke schön!