Sankt Gallen – Ein Stadtrundgang
Pardon, dass ich an dieser Stelle unterbreche – doch bevor ich sagen kann, was meine Aufgabe war, muß ich vom Boden reden, vom Parkett der barocken Bücherkirche. Dieser Boden war aus Kirschbaum- und Tannenholz zusammengefügt, erhaben wie ein Schiffsdecke, wohlklingender wie ein Geigenkasten, bref, wie der Onkel sagen würde, ohne sich dann im mindestens um diese Ankündigung zu kümmern, bref, also in Kürze:
Eine heilige Bühne wars, die sich in der hölzernen Verkleidung der Wände, in den sanft gewellten Bücherschränken und rokokodünnen Wandpfeilern aufstrebend fortsetzte, die mal hell, mal dunkel in Rippen und Auszierungen hinauf- und hinauswuchs, sich aber auch um die Gewölbespiegel und Deckengemälde schmiegte, was dem Himmel, vom Kirschbaumholz umrankt, etwas Bodenständiges gab und dem Bode, übergossen von Sonnenlicht, etwas Himmlisches.
(aus dem Buch: Fräulein Stark von Thomas Hürlimann, erschienen im S.Fischer Verlag, Frankfurt.)
Die Stiftsbibliothek in Sankt Gallen
Als ehemalige Buchhändlerin bin ich immer noch vom Büchervirus befallen. In jeder Stadt, in jedem Land zieht es mich magisch in Buchhandlungen, Antiquariate, Büchereien und Bibliotheken. Die Stiftsbibliothek in Sankt Gallen hat mir vor vielen Jahren der Schweizer Autor Thomas Hürlimann mit seiner Novelle „Fräulein Stark“ nahe gebracht. Nachdem ich das Buch gelesen hatte, war es klar für mich: Ich will ebenso wie die vielen Protagonisten in Hürlimanns Buch in diese grauen Filzpantoffeln steigen und über den Kirschbaum- und Tannenholzboden rutschen.
Als ich dann endlich in den Pantoffeln stand, wäre ich fast ausgerutscht, so glatt ist der Boden in der Stiftsbibliothek. Natürlich war ich mit dem Kopf in den Wolken, genauer gesagt hingen meine Augen an den vielen Büchern.
Insgesamt beherbergt die Stiftsbibliothek St.Gallen 170.000 Werke. Ich konnte den Blick nicht abwenden von den Deckengemälden, die die vier ersten ökumenischen Konzilien darstellen, und von der Mumie der ägyptischen Priestertochter Schepenese, die in ihrem Doppelsarg in der Bibliothek ruht.
Der Stiftsbezirk in Sankt Gallen
Neben der Stiftsbibliothek gehört auch die ehemalige Stiftskirche und heutige Kathedrale zum sogenannten Stiftsbezirk. Dieses historische Ensemble wurde 1983 von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt.
Mir geht es oft so, dass ich die Dimensionen eines Gebäudes unterschätze, so auch dieses Mal. Von außen ist die Kathedrale durchaus eine imposante Erscheinung, aber erst im Inneren lässt sich die barocke Pracht mit Chorgestühl, historischer Orgel und den malachitgrünen Stuckaturen so richtig bewundern.
Das Textilmuseum
Sankt Gallen meint es bibliotheksmäßig gut mit mir. Im Textilmuseum lande ich ebenfalls in einer Bibliothek, der Textilbibliothek. Auf einem Tisch liegen drei dicke Musterbücher und ehrfürchtig öffne ich eines davon. Auf blauem Karton sind weiße bestickte Stoffflecken angebracht. Ich blättere durch eines von insgesamt 2000 Musterbüchern mit Textilmustern. Sie dokumentieren die die Maschinenstickerei und Vorherrschaft der Ostschweiz im späten 19.Jahrhundert und frühen 20.Jhdt. Ein wahrer Schatz ist hier versammelt!
Die St.Galler Stickereien sind noch immer weltberühmt. Im Museum sind die schönsten Stücke ausgestellt. Außerdem nimmt man Bezug zur heutigen Zeit, denn so berühmte Designer wie Chanel und Armani zeigen auf ihren Modeschauen in New York oder Paris verarbeitete Spitze aus der Textilstadt.
Prachtvolle Erker schmücken die Häuser der Altstadt
Die Erker schufen Licht und Raum, aber der eigentliche Grund für den Bau galt dem Prestige. Nur reiche Kaufleute konnten sich die kunstvoll verzierten Anbauten an den mittelalterlichen Bürgerhäusern leisten. Je nach Motiv und dargestellter Szene tragen die Erker sogar Namen. Da gibt es in der Spisergasse den Sternen-Erker und in der Schmiedgasse den Pelikan- und den Kugel-Erker.
Mit Kugel ist die Weltkugel gemeint und der Pelikan-Erker wird zwar hoch oben von einem goldenen Vogel okkupiert, aber ist das wirklich ein Pelikan oder doch eher ein Schwan? Ich will jetzt nicht in die Stadtgeschichte eingreifen und aus dem Pelikan-Erker einen Schwan-Erker machen. Ein paar Meter weiter in der Kugelgasse gibt es nämlich das Haus zum Schwan. Und hier wird der Erker ganz eindeutig von einem Schwan geschmückt.
Nicht sehr nett was die Unterbringung von Fratzen an den Anbauten. Ätsch lieber Nachbar, rufen sie aus, ich bin reicher als Du!
Unterwegs im Bleicheli Quartier
Sankt Gallen ist nicht nur reich an Fachwerkhäusern und deren Erkern, sondern auch an moderner Kunst und Architektur. So locken mich riesige weiße Steine, die in der Luft schweben, ins Bleicheli-Quartier. Die Schweizer Künstlerin Pipilotti Rist hat mit einem roten Belag ein überdimensionales Wohnzimmer geschaffen. Die Steine sind aber keine Steine, sondern Leuchtkörper, die den Platz am Abend beleuchten.
Sankt Galler Festspiele oder Open Air?
Leider habe ich das Spektakel nicht gesehen, denn ich hatte abends die Qual der Wahl: St.Galler Festspiele oder Open Air St.Gallen? Nachdem ich den Alterscheck überstanden hatte und sie mich somit noch aufs Gelände ließen, landete ich beim Open Air.
Gemeinsam mit Martin vom Traveller habe ich den Altersschnitt zwar ordentlich in die Höhe geschraubt, aber der Spaß und die gute Stimmung war es mir wert. St.Gallen sieht mich auf jeden Fall wieder!
Offenlegung: Ich war auf Einladung von Schweiz Tourismus in St.Gallen.
Daniel vom Fernwehblog ist ebenfalls durch die Stadt spaziert und hat viele Fotos mitgebracht: Spaziergang durch St.Gallen
4 Kommentare
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
es war einfach ein toller trip! und vielleicht schaffen wir es ja zum 40. open air st. gallen!
ganz liebe gruesse!
martin
Wenn wir dann noch den Alterscheck bestehen, gerne!
Die Stickereien sind ja wirklich wunderschön!
Ja, die sind wirklich toll!