Der Tana-See und seine Klosterkirchen

Mit einem Schraubenzieher stopft der Priester des Klosters Narga Selassie am Tana-See meinen schmuddeligen Geldschein in die Spendenbox. Nur zu gerne hatte er kostbare Bücher und goldene Kreuze hervorgekramt, Stück für Stück aus bunten Tüchern befreit und seine Schätze bereitwillig in die Kamera gehalten. Sichtlich stolz wickelte er die Gegenstände, die aus dem 17. und 18.Jahrhundert stammen, wieder ein und verbarg sie in seinem kleinen Museum auf der Insel Dek.

Die Insel Dek liegt inmitten des Tana-Sees und ist 3,5 Stunden mit dem Boot von der Stadt Bahar Dar entfernt. Früh am morgen waren wir mit einem Motorboot losgeschippert um rechtzeitig vor Beginn der Messe die Rundkirche des Klosters betreten zu dürfen.

Ein Priester in der Klosterkirche Narga Selassie
Bereitwillig präsentiert der Priester seine Schätze
Klosterinseln Tana-See
Mit dem Boot geht es zu den Klosterinseln am Tana-See

Die Rundkirche ist die typische Kirchenform in Äthiopien

Vier Eingänge führen in das Innere der Kirche, wobei der südliche Eingang den Frauen, der östliche den Priestern, der nördliche den Männern und der westliche allen Besuchern zugänglich ist. Als Touristin habe ich es einfach, ich befolge die Anweisungen meines Guides Andu. Also ziehe ich zuerst die Schuhe aus, bevor ich über die hölzerne Schwelle der Kirche trete.

Vor mir befindet sich eine Wand, die über und über mit Abbildungen aus dem Alten und Neuen Testament versehen ist. Mit den drei anderen ebenfalls bemalten Wänden, bildet sie einen Kubus, die das Allerheiligste aufbewahrt: eine Kopie der Bundeslade. Die Originaltafeln der 10 Gebote, die Gott an Moses übergab, befinden sich angeblich in Axum. In jeder äthiopisch-orthodoxen Kirche in Äthiopien befindet sich mindestens eine Kopie der Gesetzestafeln, ansonsten wäre es keine Kirche. Zutritt zum Allerheiligsten haben nur die Priester.

Die Klosterkirche Narga Selassie
Die Klosterkirche Narga Selassie

Die Klosterkirche Narga Selassie auf der Insel Dek im Tana-See

Gemeinsam mit Guide Andu umwandere ich die bemalten Wände der Klosterkirche und lasse mir die Darstellungen erklären. Immerhin erkenne ich den heiligen Georg, doch einige Bilder sind mir völlig fremd. Das liegt daran, dass die äthiopisch-orthodoxe Kirche auch apokryphe Schriften in ihr Weltbild aufgenommen hat.

Andu erzählt mir von den Legenden der Maria und einem Buch namens Henoch. Immer wieder macht er mich auf kleine Details aufmerksam. Ungläubige Personen stellten die nicht bekannten Maler immer im Profil dar. Niemals richten sie beide Augen auf die Betrachter. Das schütze einem vor dem bösen Blick, erklärt Andu.

Jedes Bild, jeder Gegenstand hat eine Bedeutung. Stöcke aus Holz liegen auf dem Boden. Einerseits werden sie von älteren Messebesuchern als Körperstütze verwendet, denn ein Gottesdienst dauert mindestens drei Stunden. Andererseits dienen sie den Däbtäras als Gebetsstöcke während der stundenlangen Zeremonien.

Däbtäras sind Kirchensänger und sind neben den Diakonen für den Ablauf des Gottesdienstes zuständig. Klopft ein Däbtära mit dem Stock auf den Boden, deutet er damit auf die Geburt Jesu hin. Ein vor- und rückwärts Schwingen symbolisiert die Auspeitschung, ein Erheben des Stockes die Auferstehung.

Narga Selassie ist eine von vielen Klosterkirchen am Tana-See
Narga Selassie ist eine von vielen Klosterkirchen am Tana-See
Der Heilige Georg in der Klosterkirche am Tana-See
Der Heilige Georg in der Klosterkirche Narga Selassie am Tana-See

In den Kirchen Äthiopiens wird gesungen und getanzt

Andu erklärt mir die Musikinstrumente, die während des Gottesdienstes in der äthiopisch-orthodoxen Kirche verwendet werden. Weil momentan Fastenzeit ist, klopft er nur wenige Male ganz leise auf die Trommel, die Kerbero genannt wird. Neben der Trommel kommt auch eine Art Rassel zum Einsatz, das Sistrum.

Für die Art des Instruments gibt es unterschiedliche Erklärungen. Eine besagt, dass die fünf kleinen Plättchen auf dem Draht die fünf Christuswunden symbolisieren, die Metalldrähte selbst bilden eine Himmelsleiter. Es könnte jedoch auch sein, dass die Anzahl der Blättchen auf die Anzahl der Kirchendiener hindeutet, die den Gottesdienst leiten. Mindestens fünf sollten es sein.

Trommel Äthiopien
Beim äthiopisch-orthodoxen Gottesdienst wird die Trommel geschlagen
Das Musikinstrument Sistrum
Das Musikinstrument Sistrum, eine Art Rassel

Dank der vielen Erklärungen ist die Zeit schnell vergangen. Knapp vor 12 Uhr steigen wir ins Boot. Unser nächstes Ziel ist Zeghie. In der Trockenzeit führt eine Straße zu dieser Halbinsel, während der Regenzeit erreicht man die Insel nur per Boot.

Die Klosterkirchen auf der Halbinsel Zeghie im Tana-See

Wir sind wenige Minuten zu früh dran. Noch sind die letzten Worte des Priesters nicht gesprochen, der Schlusssegen wurde noch nicht erteilt. Wir warten, Andu murmelt die Gebete mit. Im Gegensatz zur Klosterkirche Narga Selassie ist die Kirche Azoa Maryam mit Stroh gedeckt. Sie wirkt wesentlich älter.

Die Klosterkirche Azoa Maryam
Die Klosterkirche Azoa Maryam auf der Halbinsel Zeghie

Ein besonderes Symbol befindet sich am Dach. Das Kreuz ist mit sieben Straußeneiern geschmückt. Sie sollen die Kirche schützen, erklärt mir Andu. Die Malereien im Inneren sind ähnlich wie die, die ich auf der Insel Dek bewundert habe.

Schutzsymbol Straußeneier
Als Schutzsymbol dienen Straußeneier.

Wir verlassen das Gelände und werden vom Däbtära aufgehalten. Er wendet sich an Andu und lädt uns zum Essen ein. Momentan ist Fastenzeit. Nach dem Besuch des etwa dreistündigen Gottesdienstes wird gemeinsam die erste Mahlzeit des Tages eingenommen. Eigentlich bin ich nicht hungrig. Ich habe während der Bootsfahrt ein Sandwich gegessen. Trotzdem freue ich mich über die Einladung und sage zu.

Der Däbtära freut sich. Er führt uns zu einem Gebäude nahe der Kirche. Im Inneren wird das Essen verteilt. Es gibt Injera, die typisch äthiopischen Fladen. Auf meiner Flade landet Shiro, ein Brei aus Mais und Bohnen. Meine Portion ist riesig! Andu beruhigt mich. Ich müsse die Flade nicht aufessen. Mit ein paar Bissen hätte ich der Gastfreundschaft genüge getan.

Ich esse mit den Mönchen
Ich esse mit den Mönchen Injera

Nach 15 Minuten verlassen wir den Raum und machen uns zu Fuß zur Klosterkirche Ura Kidane Meheret auf. Auch hier sind im Inneren die Wände mit Malereien geschmückt. Einige davon sind ziemlich blutrünstig.

Klosterkirche Ura Kidane Meheret
Klosterkirche Ura Kidane Meheret
Klosterkirche am Tana See
Reich geschmückt ist auch diese Kirche am Tana-See

Es wird Abend am Tana-See

Zum letzten Mal besteige ich das Boot. Doch noch geht es nicht zurück zum Bootsanleger in Bahar Dar. Unser Ziel ist der einzige Abfluss des Tana-Sees, der Blaue Nil.

Der Blaue Nil (oder auch Kleine Nil) entspringt beim Dorf Abay südlich vom Tana-See. Er ist einer von 40 Flüssen, die den See mit Wasser speisen.

In dem Gebiet, wo sich der Tana-See in den Nil verwandelt, halten sich angeblich Flusspferde auf. Ich bin nicht wirklich überzeugt, dass wir welche entdecken. Denn heißt es nicht, es gäbe keine Nilpferde am Nil?

Doch Bootsführer Gabriel weiß ganz genau wo sich die Nilpferde befinden. Die Tiere halten sich täglich an einer ganz bestimmten Stelle auf. Und wirklich! Nach einer kurzen Bootsfahrt entdecke ich um die zehn Tiere. Eines lässt sich bereitwillig von allen Seiten fotografieren, bevor es prustend im Tana-See verschwindet.

Ein Nilpferd im Blauen Nil
Ein Nilpferd im Blauen Nil

Die Sichtung dieser Tiere war der krönende Abschluss des Tages. Zum letzten Mal wirft Gabriel den Bootsmotor an und bringt mich nach Bahar Dar zurück.

Mehr Informationen zum Tana-See:

Manche Klosterinseln dürfen von Frauen nicht betreten werden.
Will man die Insel Dek besuchen, muss man einen ganzen Tag zur Besichtigung einplanen.
Früh morgens sieht man Fischer in ihren Papyrusbooten auf dem See.

Ein Fischer am Tana-See
Ein Fischer am Tana-See

Unweit von Bahir Dar befinden sich die Wasserfälle des Blauen Nil.


Der Flug nach Äthiopien erfolgte auf Einladung von Ehtiopian Airlines.
Die Rundreise wurde organisiert von Zagwe Ethiopia Tour.

2 Kommentare

  1. Veröffentlicht von Barbara am 01/04/2018 um 16:10

    Wow Gudrun, da warst du ja echt an einem ganz besonderen Ort! Ich bin ja ein großer Fan von schönen Kirchenfresken, also da hätt ich auch meine Freunde gehabt. Und das Nilpferd erst! Hattest du eigentlich Angst, als du es gesehen hast? Die sind ja ziemlich groß, oder?
    LG Barbara

    • Veröffentlicht von Reisebloggerin am 03/04/2018 um 10:29

      Hi Barbara, die Kirchen hätten dir gefallen. Obwohl es streng genommen keine Fresken sind. Die Bilder sind auf Leinen gemalt und dann irgendwie angeklebt. Vor dem Nilpferd hatte ich keine Angst, da gab es Begegnungen in Botswana, da war ich viel näher.

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Miriam blitzt - Miriam Mehlman Fotografie

GUDRUN KRINZINGER

Ich tue. Ich reise. Ich bin.

Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.

Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.

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