Zu Besuch bei Adolf Loos in Pilsen
„Also normalerweise macht man das ja nicht. Bei einem Wohnungsbesuch spaziert man nicht einfach so ins Schlafzimmer“, unsere Reiseführerin Katka spricht diese Worte und öffnet vorsichtig eine Tür. Schon stehen wir im Schlafzimmer von Jan und Jana Brummel, einer jüdischen Unternehmerfamilie. Sie gaben 1927 Adolf Loos den Auftrag, das ursprüngliche Haus umzubauen. Loos gestaltete zwei Wohnungen, eine für das Ehepaar Brummel und eine für Jans Schwiegermutter Hedvika Liebstein.
Modern, puristisch, funktional und edel, so lauteten die Grundsätze des Architekten, der sich wie ein Star in der Gesellschaft herumreichen ließ. Insgesamt gestaltete Adolf Loos in Pilsen dreizehn Wohnungen. Bis heute sind acht davon erhalten geblieben. Im Moment stehen der Öffentlichkeit drei Wohnungen zur Besichtigung zur Verfügung. Die Semler-Residenz ist wegen Renovierung bis auf weiteres geschlossen.
Das Brummel-Haus – Husova Straße 58
Was mir im Brummel-Haus gleich ins Auge sticht, ist das satte Dunkelgrün. Es gibt als Wandfarbe im Stiegenhaus und Vorzimmer den Ton an und dominiert als Farbe des Teppichs die gesamte Wohnung. Angeblich ließ sich Billardspieler Loos vom Grün der Billardtische inspirieren. Bei der Gestaltung des Treppenhauses durfte Hausherr Jan Brummel mitreden. Er wünschte sich eine Treppe wie in Goethes Wohnhaus in Weimar, der Architekt war einverstanden.
Wie er sich allerdings zur Replik des provenzalischen Kamins äußerte, der bis heute das Wohnzimmer der Brummels schmückt, ist leider nicht überliefert. Doch auch ein Stararchitekt muss Kompromisse machen. So hängen einzig und allein im Wohn- und Schlafzimmer von Frau Liebstein Bilder an den Wänden. Das große Bild im Esszimmer, das eine italienische Landschaft darstellt, ist in der kostbaren Wurzelholztäfelung integriert. Es soll den Blick der Besucher ins Innere der Wohnung lenken. Denn die Wohnung der Brummels befindet sich nicht gerade im nobelsten Bezirk von Pilsen, das Areal der Skoda-Werke liegt in unmittelbarer Umgebung.
Auffallend sind die vielen unterschiedlichen Stühle im Wohnzimmer, darunter der berühmte Knieschwimmer und ein ägyptischer Dreifuß. Diesen Stuhl entdeckte Loos im orientalischen Teil eines Londoner Museums. Er zeichnete ihn ab und gab die Skizzen für einen Nachbau in Auftrag.
Die Räume der Schwiegermutter
Die Räumlichkeiten der Schwiegermutter knallen in knallgelb, Van Goghs Sonnenblumen standen Paten. Und wie auch schon im Schlafgemach der Brummels verbirgt sich in den Wandschränken der älteren Dame eine wohlgeordnete Symmetrie an nützlichen Schubladen. In einer davon findet sich eine gebrauchte Puderdose, ein Pelzmantel baumelt im Wandschrank vor sich hin.
Zugegeben, es sind nur mehr Dekorationsstücke, doch sie machen mich traurig. Die Gegenstände weisen mich auf das Schicksal der Familie Brummel hin. Die jüdische Familie landete 1939 im Konzentrationslager. Jan und Jana überlebten und kehrten 1945 in ihr Haus nach Pilsen zurück, Hedvika Liebstein verstarb 1943 im Lager. Als die Kommunisten die politische Bühne betraten, wurde ihr Haus wurde abermals konfisziert. Das Ehepaar musste ins Dienstbotenzimmer umziehen. Erst 1991 wurde das Haus an die rechtmäßigen Erben zurückgegeben, die es sorgfältig renovieren ließen.
Die Wohnung der Familie Kraus – Bendova Straße 10
Leider ähneln sich die Lebensläufe der Bewohner, die in glücklicheren Jahren Adolf Loos für Um- und Neugestaltung ihrer Wohnungen engagieren konnten.
Vilém Kraus reiste nach England, um alles für die Flucht seiner Familie vorzubereiten. Seine Familie konnte er nicht mehr retten, seine Frau und die beiden Kinder kamen im Konzentrationslager um Leben.
Während der Zeit des Kommunismus wurde die Wohnung dreigeteilt. Übrig blieben nur wenige Räumlichkeiten, unter anderem das Schlafzimmer und der marmorgetäfelte Salon.
Heute wird die Wohnung für kulturelle Veranstaltungen genutzt.
Die Wohnung der Familie Vogl – Klatovská Straße 12
Die Familie Vogl kehrte nach dem Krieg nicht mehr in ihre Wohnung zurück.
Von den Räumlichkeiten, die ursprünglich aus ärztlicher Praxis und Wohnung bestanden, sind nur noch zwei Räume erhalten. Das Wohnzimmer ist mit Kirschbaumholz vertäfelt, ein Kamin bildet den Kontrapunkt an der Stirnseite. Im Gegensatz zum Haus Brummel, dessen Einrichtung aus Originalen besteht, sind die Stühle in der Wohnung der Vogls Repliken. Einmal den Sitzkomfort des berühmten Knieschwimmers testen? Das ist hier möglich.
Auch am Esstisch darf Platz genommen werden. Die Wände sind mit Travertin verkleidet, der Spiegel über der Anrichte vergrößert den Raum optisch. Beleuchtet wird die Szenerie zusätzlich von einer der typischen Looslampen.
Zum letzten Mal für heute fällt eine Tür ins Schloss, Katka sperrt die Wohnung der Familie Vogl zu.
Adolf Loos bekam die Gräueltaten des Zweiten Weltkrieges übrigens nicht mehr mit. Er starb am 23.August 1933 im Sanatorium Kalksburg.
Öffnungszeiten und Tickets
Eintrittskarten für die Wohnungsbesichtigungen gibt es im Tourist Informationszentrum auf dem Platz der Republik oder online.
Offenlegung: Die Reise nach Pilsen inklusive Besichtigung der Adolf Loos Wohnungen erfolgte auf Einladung der Tschechischen Zentrale für Tourismus und Pilsen Tourismus.
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.