Das Servitenviertel in Wien
[Anzeige] Das Servitenviertel ist eine versteckte Schönheit in Wien. Das Grätzl befindet sich im 9.Bezirk. Und wie es sich für ein richtiges Wiener Grätzl gehört, sind die Grenzen nicht eindeutig definiert. Das Herz des Servitenviertels pumpert auf jeden Fall ganz laut in der Servitengasse. Von dort aus verströmt es seine Lebendigkeit in die umliegenden Straßen und Gassen, wie Adern in einem Körper.
Da gibt es die lebhafte Liechtensteinstraße, die harmonische Harmoniegasse und die fürstliche Fürstengasse. Stiegen gibt es im Servitenviertel natürlich auch, sogar eine weltberühmte, nämlich die Strudlhofstiege.
Ein Spaziergang durch das Servitenviertel
Doch beginnen wir unseren Spaziergang durch das Servitenviertel in der Harmoniegasse. Harmonisch habe ich sie genannt, und das hat seinen Grund. Der Architekt der Häuser in dieser Gasse war niemand geringerer als Otto Wagner.
Neben einer der Eingangstüren in der Harmoniegasse ist eine Gedenktafel angebracht und ehe ich mich versehen kann, öffnet mir eine Hausbewohnerin die Tür. Wenn ich mich für Otto Wagner interessiere, könne ich gerne die historischen Bilder im Hausflur betrachten. Ein Bewohner im Haus wäre ebenfalls ein Otto-Wagner-Fan, spricht sie, holt ihre Post aus dem Postkasten und entschwindet im Aufzug.
Der Bewohner hat sich wirklich Mühe gegeben. Auf großformatigen Tafeln ist die Baugeschichte der Gasse skizziert. Besonders faszinierend finde ich die schwarz-weiß-Aufnahme, die das Harmonietheater im Hintergrund zeigt.
Das Theater, das der Gasse seinen Namen gab, gibt es leider heute nicht mehr. Doch noch immer sind im Servitenviertel viele Bühnen angesiedelt, wie zum Beispiel das Schauspielhaus in der Porzellangasse oder das Bronski & Grünberg in der Müllnergasse.
Das Hotel Harmonie verspricht Harmonie
Doch noch bleibe ich in der Harmoniegasse. Das Hotel Harmonie hat mich eingeladen zwei Nächte in einem Superior Zimmer zu verbringen. Zwei Packages wurden mir zu Auswahl gestellt: Freud oder Beethoven. Und mit Freude entschied ich mich für Freud.
Dieses Package inkludiert ein Ticket des neu eröffneten Freud Museums in der Berggasse und eine süße Jause im Sacher Eck. Einen eigens für Hotelgäste designten Stadtplan bekomme ich ebenfalls in die Hand gedrückt. Doch vorerst beziehe ich mein Zimmer, das sich im vierten Stock des Hotels befindet.
Schon im Flur fallen mir die wunderbaren Bilder des peruanischen Künstlers Luis Casanova Sorolla auf. Sorolla ließ die Solistinnen und Solisten des Wiener Staatsopernballetts auf speziell imprägniertem Papier tanzen. Durch die Farbpigmente entstanden einzigartige Gemälde, die nun die Zimmer schmücken.
Mit der Schlüsselkarte öffne ich mein Zimmer. Zu meiner rechten Hand liegt das Badezimmer, ausgestattet mit WC, Badewanne, großem Spiegel, Kosmetikspiegel und Föhn. Neben dem Badezimmer befindet sich die Sitzecke, von wo aus ich zum Schreibtisch, zum Bett und zum Lesesessel mit Stehlampe blicken kann. Über dem Bett hängt das bereits erwähnte Unikat von Luis Casanova Sorolla.
Mein Liebling im Zimmer ist natürlich der Design-Lesesessel!
Und hätte ich nicht die entsprechende Wien-Lektüre dabei, würde ich mich wohl in der Bibliothek des Hauses bedienen. Diese befindet sich im Erdgeschoß und ist eine Mischung aus Kaminzimmer, Bar und Bücherei. Viele Bücher über Wien füllen die Regale und zwar durchwegs aktuelle Neuerscheinungen, keine alten Schinken.
Alten Schinken gibt es selbstverständlich auch beim Frühstück nicht. Wert gelegt wird in erster Linie auf Regionalität. Zusätzlich füllen Produkte in BIO Qualität das Buffet. Als Besonderheit gibt es fünf Gerichte, die die Internationalität der Gäste widerspiegelt: Wie wäre es zum Beispiel mit einem japanischen Frühstück?
Ich entscheide mich allerdings für die steirische Variante – Eierspeise mit Kürbiskernen, Kürbiskernöl und Schnittlauch – und es schmeckte hervorragend. Wie auch der Smoothie, ein richtiger Turbobooster, der mich gut gelaunt in den ersten Sightseeing-Tag starten lässt.
Meine heutige Tour durch das Servitenviertel beginnt bei der eingangs erwähnten Strudlhofstiege.
Die berühmteste Stiege der Weltliteratur
Die Strudlhofstiege wurde weder nach dem Topfen- oder Apfelstrudel benannt, sondern nach dem österreichischen Bildhauer und Maler Peter Strudel. Dieser erwarb im Jahre 1690 ein Grundstück in der Vorstadt und ließ darauf ein Palais errichten. In diesem Palais, das Strudlhof genannt wurde, gründete er eine private Kunstakademie. Aus dieser Institution entstand im Laufe der Jahre die Akademie der Bildenden Künste, die heute ihren Standort am Schillerplatz am Ring hat.
Steige ich die Stufen der Strudlhofstiege empor, lande ich vor besagtem Palais. Im Lauf der Geschichte wechselte es mehrmals seine Besitzer, es diente als Pesthaus und Botschaftsgebäude und spielt eine kleine Fußnote in der österreichischen Geschichte. Kaiser Franz Josef unterschrieb 1914 in den Räumen des Palais das Ultimatum an Serbien, welches den Ersten Weltkrieg auslöste.
Die Strudlhofstiege verbindet das Gefälle zwischen Strudlhofgasse und Liechtensteinstraße und das auch erst seit dem Jahr 1910. Erst zu diesem Zeitpunkt wurde die Stiegenanlage eröffnet.
Heimito von Doderer wählte diese Stiege und ihre Umgebung als Schauplatz für seinen wohl berühmtesten Roman. Hier ließ er die Hauptfiguren flanieren, debattieren und sich verlieben.
Eine Stiege und ein Palais, diese beiden Bauwerke sind nur winzige Räder in der Historie des Servitenviertels. Hinter den oft prächtigen Fassaden der Gründerzeithäuser verstecken sich berühmte und weniger berühmte Geschichten, manche davon sind tieftraurig.
Die Servitengasse – Wer hat hier gewohnt?
Bis zum März 1938 war die Servitengasse eine ganz normale Geschäfts- und Wohnstraße, doch dann verdunkelte sich der Himmel. Bis zum März 1938 lebten 680 Menschen in der Servitengasse, 377 wurden als Juden von den Nazis verfolgt. 27 Namen stehen auf einer Gedenktafel vor der Servitengasse 6. 27 Namen von Männern und Frauen und Kindern, die deportiert, ermordet und vertrieben wurden.
Ein einziges Haus und 27 Namen.
Nur wenige Meter davon entfernt, schräg vis-a-vis der Servitenkirche, ist eine Glasplatte im Boden eingelassen. Unter der Platte liegen 462 mit Namen beschriftete Schlüssel. Sie erinnern an die Menschen, die bis zum März 1938 in der Servitengasse gelebt und gearbeitet haben. 462 Namen von Männer und Frauen und Kindern, die deportiert, ermordet und vertrieben wurden.
Eine einzige Gasse und 462 Namen.
Vielleicht wüsste man all das gar nicht, wenn nicht eine Familie in einem der Häuser neugierig geworden wäre und Nachforschungen angestellt hätte. Namen von einer jüdischen Familie kamen zum Vorschein, noch mehr Namen tauchten auf, von jüdischen Geschäftsbesitzern, von Uhrmachern, Fleischhauern und Lebensmittelhändlern. Eine Projektgruppe wurde gegründet, noch mehr Nachforschungen ergaben noch mehr Namen. Namen von ganz normalen Menschen, von Arbeitern und Hausfrauen und Ladenbesitzern. Keine Berühmtheiten wie Sigmund Freud.
Sigmund Freud, der berühmte Psychoanalytiker, wohnte nämlich nur einen Katzensprung von der Servitengasse entfernt. Ihm, seiner Frau und seiner Tochter gelang rechtzeitig die Flucht aus Wien nach London. Sigmund Freud kennt jeder, die Namen der Ermordeten, Vertriebenen, Geflüchteten blieben lange verborgen.
Doch kann und darf man Schicksale aufwiegen?
Zu Besuch bei Sigmund Freud in der Berggasse
Im Sigmund Freud Museum in der Berggasse, das soeben neu eröffnet wurde, erfahre ich, dass vier von Freuds Schwestern in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet wurden.
Nach Freuds Flucht ins Exil wurden Wohnung und Praxis als Sammellager für Juden benützt. 31 Namen sind nachgewiesen und im Stiegenhaus gelistet.
In den heutigen Räumen des Museums sind nur wenige Originalgegenstände aus Freuds Besitz ausgestellt. Freuds Tochter Anna hat viele Jahre später kleine Dinge ihres Vaters nach Wien zurückgebracht und dem Museum zur Verfügung gestellt. Die berühmt-berüchtigte Couch, auf der Freuds Patienten lagen, steht allerdings in London, dem letzten Wohnort des Psychoanalytikers.
Der Umbau des Museums hat sich für mich als Besucherin gelohnt. Es ist um einiges heller und luftiger als bei meinem ersten Besuch vor über 20 Jahren. Das hängt auch damit zusammen, dass neben den ursprünglichen Räumlichkeiten der Praxis nun auch die ehemalige Wohnung der Familie Freud besichtigt werden kann.
Über das Museum im Servitenviertel selbst möchte ich nicht allzu viel verraten. Mir persönlich hat es sehr gut gefallen. Besonders der geheime Ausgang, der es den Patienten erlaubte, ohne gesehen zu werden Freuds Praxis zu verlassen.
Das Gartenpalais Liechtenstein
Als ich die Homepage des Palais Liechtenstein aufrufe und nach einer Option für einen Besuch recherchiere, heißt es leider: Ausverkauft!
Schade, denn gerne erinnere ich mich an die Zeit zurück, als das Palais Liechtenstein noch als Museum in Betrieb war. Wegen der geringen Besucheranzahl hat man allerdings den regulären Museumsbetrieb eingestellt und bietet nun Führungen an bestimmten Tagen an.
Wer sich also rechtzeitig um Karten kümmert, dem empfehle ich einen Besuch in den prachtvollen Räumen des Gartenpalais der Familie Liechtenstein. Die Kunstsammlung gehört zu den wertvollsten Privatsammlungen und wird jeden Kunstfreund begeistern.
Ich selbst bin von der Möglichkeit begeistert, den wunderschönen Garten kostenlos nutzen zu dürfen und mache eine Besichtigungspause.
Der jüdische Friedhof in der Seegasse
Auf dem Stadtplan, den ich im Hotel Harmonie bekommen habe, sind noch viele weitere Besichtigungspunkte im Servitenviertel eingezeichnet. So mache ich mich nach der Ruhepause auf den Weg zum jüdischen Friedhof in der Seegasse 9.
Früher hieß die Gasse „Gaßel, allwo der Juden Grabstätte“, dann Judengasse und jetzt Seegasse.
Der jüdische Friedhof liegt versteckt im Innenhof eines Seniorenwohnheims. Es hat schon etwas leicht Makabres, wenn man das Pensionistenheim betritt und nach dem Friedhof fragt. Momentan herrschen Umbauarbeiten, ein riesiges Baugerüst ziert die Fassade des Wohnheims.
Die Grabsteine, die ich von der Terrasse aus besichtigen kann, gehören zum ältesten jüdischen Friedhof in Österreich. Die Friedhofsanlage geht auf die Mitte des 16.Jahrhunderts zurück. Regelmäßig sorgten die Wassermaßen der Donau für Überflutungen des Friedhofs, erst die Donauregulierung schuf diesem unerträglichen Umstand Abhilfe.
Doch die Friedhofsruhe währte nicht lange. Durch einen Beschluss der Nazis sollten alle jüdischen Friedhöfe aufgelassen werden. Jedoch gelang es jüdischen Gemeindemitgliedern, einen Teil der Grabsteine am Wiener Zentralfriedhof zu verstecken.
Ein Lichtzeichen in der Müllnergasse
Nachdenklich spaziere ich über die Seegasse und Müllnergasse retour zur Servitengasse. Mein Weg führt mich vorbei an einem Lichtzeichen.
Die Lichtzeichen erinnern an die Synagogen, die in der Reichskristallnacht 1938 zerstört wurden. Es sind 5 Meter hohe Stelen, die einen Davidstern bilden.
Die Müllnersynagoge wurde vom Architekten Max Fleischer gestaltet. Sie wurde im neogotischen Baustil erbaut und hatte Platz für 570 Gläubige.
Erbaut wurde sie in 2 Jahren, zerstört wurde sie an einem einzigen Tag.
Dieses hier steht in der Müllnergasse.
Zurück in der Servitengasse
Nur eine Gasse weiter befindet sich die Servitenkirche mit der Peregrinikapelle. Am Donnerstag ist Markttag und kaum jemand verirrt sich in die Kirche, die Namensgeberin für das Servitenviertel ist.
Schutzpatron der Krebs- und Aidskranken
Die Servitengasse sprüht vor Leben. Ein Restaurant reiht sich an das andere, die Gastgärten sind voll. Großen Hunger habe ich nicht und so genieße ich eine fantastische Maissuppe in der Suppenwirtschaft.
Ich schlendere vorbei an der Käsebar und Greisslerei Edelschimmel, die köstliche Käsesorten anbietet. Gleich daneben kann ich mich in der Xocolat Manufaktur mit Schokolade eindecken. Vis-a-vis luge ich durchs Schaufenster der Feinkosthandlung König. Doch wie von einem Magnet angezogen, werde ich mich im Bistrot La Mercerie wiederfinden, vor mir einen café und ein pain au chocolat.
Und ich sehe mich ein Buch aufschlagen, das ich wenige Minuten zuvor in der Grätzlbuchhandlung Öchsli gekauft habe:
1938 Adresse: Servitengasse – Eine Nachbarschaft auf Spurensuche – erschienen im Mandelbaum Verlag
Im Hotel bleiben oder rausgehen ins Servitenviertel?
Der zweite Tag im Hotel Harmonie bricht an. Geschlafen habe ich wie eine Prinzessin – natürlich ohne Erbse. Der Blick aus dem Fenster verspricht nichts Gutes, die Wetter-App bestätigt meine Vorahnung. Eine Regenfront macht sich über Wien breit.
Im ersten Moment ärgere ich mich, im zweiten Moment freue ich mich. Denn das Hotel Harmonie ist ein richtiges Wohlfühlhotel. Das Zimmer, in dem ich untergebracht bin, hat eine dermaßen behagliche Atmosphäre, da könnte ich eigentlich auch im Hotel bleiben.
Mit diesem Gedanken marschiere ich zum Frühstücksbuffet. Mit einem freundlichen „Guten Morgen“ werde ich empfangen. Ich schnappe mir die Zeitung, hole mir ein Gläschen Sekt, gustiere am Buffet und schon ist eine Stunde vergangen. Mit Lesen und Frühstücken vertrödle ich eine weitere Stunde im Frühstücksraum. Was soll ich machen, es ist einfach zu gemütlich hier.
Ich wechsle in die Bibliothek und blättere in den Büchern über Wien. Jedes dieser Bücher wurde mit viel Liebe ausgesucht, das spürt man. Und diese Liebe fürs Detail zieht sich durch das ganze Haus. Egal ob die Marmelade fürs Frühstück, die angenehmen Farben der Möbel, der selbstdesignte Stadtplan oder die Begrüßungsschokolade am Zimmer, im Hotel Harmonie hat sich jemand wirklich Gedanken darüber gemacht, was Gäste – und mich – glücklich macht.
Adressen und Informationen
Hotel Harmonie
Harmoniegasse 5-7
1090 Wien
Homepage: https://www.harmonie-vienna.at/
Das Hotel im Servitenviertel liegt sehr zentral und ist perfekt mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar (Straßenbahnlinie D, Schottentor U2, Rossauerlände U4).
In Gehweite liegen das Freudmuseum (Berggasse 19), das Palais Liechtenstein (Fürstengasse 1), die Votivkirche und Schuberts Geburtshaus (Nußdorferstraße 54).
Derzeit werden zwei Packages für kulturaffine Menschen angeboten:
Freud Package – inkludiert Eintrittskarten für das Freud Museum und einen Gutschein für eine Kaffeejause im Cafe Sacher
Beethoven Package – inkludiert Eintrittskarten für das Haus der Musik, eine 48 Stunden Wien Karte und eine selbstgeführte Wanderung auf Beethovens Spuren via App
Informationen zu allen Packages: https://www.harmonie-vienna.at/packages-gutscheine/
Offenlegung: Das Hotel Harmonie hat mich zur Recherche eingeladen.
4 Kommentare
Hinterlassen Sie einen Kommentar
GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
Liebe Gudrun, ich habe vor einer Weile auch schon im schönen Harmonie genächtigt und mich dabei ins Servitenviertel verliebt. Wenn ich in Wien leben würde, wäre das mein absoluter Favorit. Liebe Grüße aus Salzburg, Claudia
Ich habe sogar ganz in der Nähe vom Servitenviertel gewohnt, damals wars aber nicht ganz so hipp…
Was für ein schönes Stadtviertel. Ich glaube, da muss ich Wien doch nochmal einen Besuch abstatten. Der letzte liegt so ca. 20 Jahre her…
Viele Grüße
Annette
Ich freue mich auf Dich!