Franz Kafka in Prag – Eine Spurensuche
Ein schmales, in rotes Leinen gebundenes Buch begleitet mich auf meine Reise nach Prag. Schon im Zug blättere ich durch die Seiten und betrachte schwarz-weiß Fotos, die von einer verschwundenen Welt erzählen. Ich versuche mir die Punkte einzuprägen, die im Stadtplan auf der Buchinnenseite angeführt sind. Es sind genau 25.
Franz Kafka in Prag – Ein Spurensuche
25 Adressen, die mit der Person Franz Kafka und Prag verwoben sind: Wohnhäuser, Arbeitsstätten, Adressen von Schulen, Kaffeehäusern und von der Wohnung, in der sein Freund Max Brod lebte.
Doch noch während meiner Reise durch die tschechische Hauptstadt lerne ich weitere Sehenswürdigkeiten kennen, die mit Kafka in Verbindung gebracht werden. So zum Beispiel das Kafka Museum auf der Kleinseite, untergebracht in einer ehemaligen Ziegelfabrik.
Dann gibt es noch ein 42 Tonnen schweres Denkmal des tschechischen Künstlers David Černý und natürlich die Grabstätte des Literaten am Neuen jüdischen Friedhof in Žižkov.
Doch wer war Franz Kafka eigentlich?
Die Person Kafka in wenigen Worten zu erklären ist unmöglich. Eine umfangreiche dreibändige Biografie über den Schriftsteller umfasst mehr als 2000 Seiten. Dabei hat der Literat nur wenige seiner Werke vollendet. Die Romane sind nur in Fragmenten erhalten und wären wohl überhaupt nie erschienen, wenn sich nicht Max Brod über den letzten Willen seines Freundes hinweggesetzt hätte.
Bei meiner Ankunft in Prag weiß ich trotzdem nur wenig über den Schriftsteller. Dass er Jude war, auf Deutsch schrieb, einen übermächtigen Vater hatte, zweimal mit der gleichen Frau verlobt war und diese Verlobungen wieder löste.
Und auch nach den langen Spaziergängen durch Prag, dem Aufsuchen seiner Lebensorte, dem Besuch des Museums und dem Nachlesen in den vielen, vielen Büchern, die sich Franz Kafka widmen, und oft widersprechen, werde ich nur wenig mehr wissen über einen der faszinierendsten Literaten des 20.Jahrhunderts.
Der kleine Kreis Kafkas
„Hier war mein Gymnasium, dort in dem Gebäude, das herübersieht, die Universität und ein Stückchen weiter links hin mein Büro. In diesem kleinen Kreis (…) ist mein ganzes Leben eingeschlossen.“
Kafka an seinen Lehrer Friedrich Thieberger
Diese Zeilen, die Franz Kafka an seinen Hebräischlehrer schrieb, beschreiben sein ganzes Leben.
Vom Geburtshaus Kafkas, das mit einer Büste an den Schriftsteller erinnert, sind es nur wenige Schritte zum Sixtushaus, wo die Familie kurz lebte. Der Vater, der ein Galanteriegeschäft führte, glaubte an den sozialen Aufstieg und wechselte oftmals sowohl die Wohn- als auch die Geschäftsadresse. Das Zentrum blieb allerdings der Altstädter Ring, dessen zentrale Lage für den Kaufmann Kafka sehr wichtig war.
Vom Sixtushaus zog die Familie Kafka in das Haus „Zur Minute“, wo Kafkas Schwestern zur Welt kamen.
Nur wenige Jahre später zogen die Kafkas weiter, ins Haus zu den drei Königen. Knabenschule, staatliches Gymnasium und die Karl-Ferdinandsuniversität lagen in Gehweite der jeweiligen Wohnungen. Weitere Male wechselten die Kafkas den Wohnsitz, bis man schließlich im Oppelthaus landete.
Nicht immer war Franz Kafka mit den wohnlichen Gegebenheiten zufrieden, er konnte nur in absoluter Ruhe seine Gedanken zu Papier bringen. In Tagebucheintragungen beschwerte er sich über die Schritte der Dienstmädchen, das Gelächter der Nachbarn, die Gespräche um ihn herum, die ihn am Schreiben hinderten.
Kafkas Prag
Kafka wuchs in einer Zeit der großen Veränderungen heran. Die tschechische Sprache löste die deutsche ab, das jüdische Viertel wurde geschliffen, eine Tramway wurde installiert, die Elektrifizierung schritt voran, die ersten Autos tauchten im Stadtbild auf. Lichtspieltheater entstanden, eine Neuerung, die von Kafka und seinen Freunden begeistert angenommen wurde.
Kafka gehörte zu denen, die die spanische Grippe überlebten. Der Tuberkulosekranke zog sich in die Wohnung seiner Eltern zurück. Als die Krankheit überwunden war, war das Habsburgerregime Geschichte und die tschechoslowakische Republik ausgerufen worden.
Viele kluge Köpfe haben sich über Kafkas Schriften den Kopf zerbrochen, doch die Stadt Prag ist in seinen Werken kaum zu identifizieren. So mancher Experte versucht in seinem Romanfragment „Der Prozess“ die metaphysische Beschreibung der Prager Altstadt zu erkennen, jeder Satz wird um- und neugedeutet.
In seinen Briefen kommt Prag allerdings immer wieder vor:
Kühl und hart ist der heutige Tag.
Die Wolken erstarren.
Die Winde sind zerrende Taue.
Die Menschen erstarren.
Die Schritte klingen metallen
Auf erzenen Steinen,
Und die Augen schauen
Weite weiße Seen.In dem alten Städtchen stehn
Kleine helle Weihnachtshäuschen,
Ihre bunte Scheiben sehn
Auf das schneeverwehte Plätzchen.
Auf dem Mondlichtplatze geht
Still ein Mann im Schnee fürbaß,
Seinen großen Schatten weht
Der Wind die Häuschen hinauf.Menschen, die über dunkle Brücken gehn,
vorüber an Heiligen
mit matten Lichtlein.Wolken, die über grauen Himmel ziehn
aus einem Brief Kafkas vom 9.November 1903
vorüber an Kirchen
mit verdämmernden Türmen.
Einer, der an der Quaderbrüstung lehnt
und in das Abendwasser schaut,
die Hände auf alten Steinen.
Kafkas Prag ist allerdings verschwunden. Immerhin, es gibt noch Hauseingänge – viele Hauseingänge! – und so manche Adresse in Prag, wo man sich dem Autor nahe fühlen darf.
Die wichtigsten Adressen zu Franz Kafka in Prag
- Kafkas Geburtshaus
Hier steht das Geburthaus Franz Kafkas. Vom ursprünglichen Haus ist nur mehr das Portal erhalten.
Náměstí Franze Kafky 5/27
- Wohnhäuser am Altstädter Ring
Dům U Minuty – das Haus zur Minute – Staroměstské náměstí 2
Das Sixthaus – Celetná 553/2
Das Haus zu den drei Königen – Celetná 602/3
Das Oppelthaus – Staroměstské nám. 934/5
- Goldenes Gässchen
Kafkas Schwester Ottla mietete das Haus mit der Nummer 22 im Goldenen Gässchen.
Kafka hat hier nie gewohnt, aber gearbeitet.
- Kafka Museum
Das Museum erlaubt spannende Einblicke in das Leben des Schriftstellers. Richtig gut fand ich die Filme zu den Werken Kafkas. Der Museumsshop ist sowieso ein Traum!
Cihelná 635/2b
- Café Louvre
Im Café Louvre traf sich der philosophische Kreis der Brentanisten, also Anhänger des Philosophen Franz Brentano.
Franz Kafka und Max Brod schlossen sich den Diskussionsrunden an.
Národní 1987/22
- Das Lucerna
Im Kinosaal sah sich Kafka die neuesten Filme an, im Kabarett besuchte der Schriftsteller Kleinkunstaufführungen und Tanzabende.
Štěpánská 61
- Franz Kafka Denkmal
2003 schuf der Bildhauer Jaroslav Róna ein Denkmal für Franz Kafka.
Dušní 141/12
- METALmorphosis von David Černý
Das Denkmal des Bildhauers besucht man am besten zur vollen Stunden. Denn dann beginnen sich die Ebenen des Gesichts zu drehen.
Spálená 22
- Neuer jüdischer Friedhof
Am neuen jüdischen Friedhof befindet sich Kafkas Grabmal. Seine Eltern sind ebenfalls in dem Grab beigesetzt. Eine Platte mit den eingravierten Namen erinnert an seine Schwestern. Alle drei wurden in den Konzentrationslagern der Nazis ermordet.
Izraelská 712/1
Metrostation Želivského – Linie A
Offenlegung:
Die Einladung zu den Schauplätzen Kafkas in Prag erfolgte von der Tschechischen Zentrale für Tourismus.
Herzlichen Dank an die beiden Prag-Guides Alena Hnutová und Eva Kuzelová!
Kafka feiert Geburtstag!
Um den 100. Todestag von Franz Kafka im Jahr 2024 finden weltweit zahlreiche Veranstaltungen statt.
Kafka2024 vom Goethe-Institut: In Zusammenarbeit mit dem Indie-Game-Studio Charles Games entwickelt das Goethe-Institut ein Videospiel, das Kafkas literarische Welt im virtuellen Raum zum Leben erweckt. Des Weiteren sind zahlreiche Events wie Konferenzen, Workshops und Theateraufführungen geplant.
Ausstellung „Kafka: Making of an Icon“: Diese findet vom 30. Mai bis 27. Oktober 2024 in der Weston Library der Bodleian Libraries in Oxford statt. Die Ausstellung zeigt Materialien aus den Archiven der Bodleian Libraries, darunter literarische Notizbücher, Zeichnungen, Tagebücher, Briefe und Fotografien Kafkas. Die Ausstellung bietet einen tiefen Einblick in Kafkas Leben und Werk.
Theaterprojekt „Auswege“ in Berlin: Dieses Theaterprojekt, das am 25. Januar 2024 in der Brotfabrik in Berlin stattfindet, zielt darauf ab, Kafkas Werk im Theater neu zu entdecken. Das Stück ist von zwei seiner Texte inspiriert und verbindet Kafkas Themen mit Elementen aus Subkulturen wie Zirkus und Rockmusik.
Diese Veranstaltungen bieten eine einzigartige Gelegenheit, Kafkas Vermächtnis zu feiern und sein Werk einem neuen Publikum näherzubringen.
4 Kommentare
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
toll zusammengefasst. Will schon lange nach Prag. Wenn ich dorthin fahre, nehme ich das Büchlein zur Hand und deine Reiseempfehlungen. Danke!
Super interessanter Artikel. Kafka war ein zerrissener Mensch und das kommt hier sehr gut rüber. Wenn ich wieder in Prag bin, werde ich deine Tipps mal ganz bewußt abgehen.
Gerne gelesen und gepinnt.
Liebe Grüße,
Marion vom LSLB-Magazin
Liebe Gudrun, sehr schönes Thema. Was mich jetzt gerade überrascht, ist, dass Cernýs Kafka-Kopf nur noch jede Stunde zerfließt. Noch im vergangenen Jahr tat er das alle paar Minuten…
Viele Grüße!
Hi Gabriele! Der Kopf beginnt sich zur vollen Stunden zu drehen und das Spektakel dauert so um die 20 Minuten. Vielleicht wird das auch wieder einmal umgestellt?