Cicchetti in Venedig
In Venedig ernähre ich mich fast ausschließlich von Cicchetti. Das ist meiner zweiten Reise in die Lagunenstadt geschuldet, wo ich in der Nähe der großartigen Cantine del vino già schiavi wohnte. Zu Mittag ein schneller Happen? Ein Aperitif vor dem Abendessen? Aus dem geplanten Kurzbesuch in dieser besonderen Taverne wurden oftmals Stunden, schließlich musste ich sämtliche Cicchetti verkosten.
Doch was sind Cicchetti eigentlich?
Eine eindeutige Definition ist gar nicht so einfach. Cicchetti sind einerseits belegte oder mit Aufstrich bestrichene Weißbrotscheiben, wobei das Brot auch geröstet sein kann. Dann nennt man die köstlichen Dinger Crostini. Manche Bàcari in Venedig verwenden statt Weißbrot auch Polentascheiben.
Neben diesen kleinen Brötchen zählen auch frittierte Kleinigkeiten zu den Cicchetti. Da gibt es zum Beispiel Mozzarella, Sardinen, Gemüse oder Stockfischbällchen, die in „carrozza“ herausgebacken werden. Carrozza ist ein Backteig, bestehend aus Ei und Mehl. Diese Art von Cicchetti werden kurz in der Mikrowelle aufgewärmt, bevor sie serviert werden. Halbierte, hart gekochte Eier mit Sardellen werden ebenso zu den venezianischen Cicchetti gezählt wie eingelegte Tintenfische, marinierte Artischocken oder ein Würfel Mortadella, garniert mit Pfefferoni.
Oft werden die Cicchetti in Venedig mit den spanischen Tapas verglichen. Meiner Meinung nach hinkt dieser Vergleich. Denn die venezianischen Köstlichkeiten isst man immer mit den Fingern, niemals mit Besteck. Außerdem ist es üblich, die Cicchetti im Stehen zu verspeisen. Da spielt natürlich die Auswahl der richtigen Bàcari eine große Rolle.
Und was sind nun Bàcari ?
Bàcaro ist eine venezianische Weinbar, die Mehrzahl lautet Bàcari. Typische Bàcari sind winzig klein und bieten eine bescheidene, aber sorgfältig ausgewählte Auswahl an Weiß- und Rotweinen an. Sitzplätze sind so gut wie nie vorhanden. Self-Service ist üblich.
Man bestellt also den Wein oder den Aperitif am Tresen, deutet auf die gewünschten Cicchetti, bezahlt und sucht sich seinen Platz. Meistens wird man gefragt, ob man im Lokal oder im Freien essen möchte. Je nachdem wird dann der Wein oder Spritz im Glas oder im Plastikbecher kredenzt.
Spritz oder Sprizz ist der beliebteste Aperitif im Veneto. Zur Auswahl stehen Aperol, Campari oder Select. Meistens wird der Spritz mit Weißwein kreiert, eher selten mit Prosecco.
Wer sich als Kenner der venezianischen Lebensart fühlen möchte, bestellt un‘ombra. Wortwörtlich übersetzt bedeutet ombra Schatten. Die Weinverkäufer am Markusplatz nutzten angeblich den Schatten des Glockenturms zur Kühlung ihres Weins und rückten im Laufe des Tages immer ein Stückchen weiter. Ein ombra ist somit ein kleines Gläschen gekühlter Wein, genauer gesagt 100 ml, also etwas weniger als ein Achterl in Österreich.
Die beliebtesten Cicchetti in Venedig
Die Auswahl an Cicchetti ist riesig, doch es gibt zwei absolute Klassiker. Das sind „baccala mantecato“ und „sarde en saor“. Beide Variationen landen fast immer auf meinen Teller.
Baccala mantecato ist eine Stockfischcreme. Wer sich nicht selbst an die Zubereitung wagt, kann diese Creme am Rialtomarkt bei den Fischhändlern kaufen.
Grob umschrieben besteht sarde en saor aus marinierten Sardinen, Zwiebeln, Rosinen, Lorbeerblättern und Pinienkernen. Erfunden wurde die Speise, als Venedig noch Seemacht war. Es sollte die Seefahrer vor Skorbut bewahren. Mittlerweile gibt es wohl in jedem venezianischen Haushalt ein eigenes Rezept.
Wo gibt es die besten Cicchetti in Venedig?
Es hilft nichts, da musst du dich selbst durchkosten. Auf jeder Venedigreise verschlägt es mich in Ecken, wo ich mir unbekannte Bacari entdecke. Ab und an werden auch neue Weinbars eröffnet. In keiner einzigen Bacaro habe ich schlecht gegessen. Was ich allerdings meide, sind leere Lokale oder Bacari an den Hauptrouten von Touristen.
Meine Bàcari Tour in Venedig
Meine Bàcari Tour beginnt selbstverständlich in meinem Lieblingslokal im Stadtteil Dorsoduro.
Über 500 Weine hält man in dieser bacaro vorrätig, doch die meisten Kundinnen und Kunden kommen wegen der vorzüglichen Cicchetti. Die Variationen sind phänomenal gut (Ricotta mit Nusscreme!) und der Preis mit 1,5 € pro Brötchen ist unschlagbar. Die Damen und Herren hinter der Bar sind immer gut aufgelegt und geduldig, und ich muss es wissen, ich war sicher schon 20 Mal zu Gast.
Am schönsten ist es natürlich im Außenbereich mit Blick auf den Kanal zu essen. Auf der Brücke darf man allerdings nicht Platz nehmen. Aufpassen muss man allerdings auf die Möwen, auch sie lieben venezianisches Fingerfood und buhlen sehr aggressiv um Futter.
Cantine del vino già schiavi
Dorsoduro 992 – fondamenta Nani
Öffnungszeiten:
Montag bis Samstag: 8:30 – 20:30
Nur ein paar Schritte weiter entlang landet man in einer weiteren Bacaro mit der wahrscheinlich schönsten Aussicht, der Osteria Al Squero. Die Weinbar besteht aus einem einzigen Raum mit vielleicht acht Sitzplätzen. Wer seine Cicchetti lieber im Freien zu sich nimmt, genießt den Blick auf die Gondelwerft Squero San Trovaso. Es ist eine der wenigen Gondelwerften, die es in Venedig noch gibt.
Osteria Al Squero
Dorsoduro 943/944
Öffnungszeiten:
Montag bis Freitag: 10 – 14 und 17:30 – 21 Uhr
Samstag: 10 – 14 und 14:30 – 21 Uhr
Cicchetti beim Rialtomarkt
In die Cantina do Mori bin ich zufällig hineingestolpert. Es erwartete mich ein dunkler “Schlurf” mit vielen Kupferkesseln an der Decke. Wenn das Gründungsdatum (1462) stimmt, ist dieses Lokal das älteste in Venedig, wenn nicht gar im ganzen Veneto.
Die Cicchetti sehen etwas rustikaler aus als in den bisher beschriebenen Lokalen. Doch das Publikum ist bunt gemischt. Vom Anzugträger bis zum Bauarbeiter, alle werden freundlich bedient. Ich flüchte erst, als eine Touristengruppe das Lokal stürmt.
Die Cantina und auch das vis-a-vis am Eck befindliche All’Arco sind beliebte Anlaufstellen von geführten Foodtouren durch Venedig.
Cantina do Mori
San Polo 429
Öffnungszeiten:
Montag bis Samstag: 8 – 20 Uhr
Hinter den Tresen von All’Arco wuseln drei engagierte Personen herum und bemühen sich nach Kräften, die gewünschten Speisen und Getränke herzurichten. Die Cicchetteria besteht aus einem einzigen Raum. Es gibt kalte und warme Happen. Mehrere kleine Tische laden draußen zum Sitzen ein, aber man muss Glück haben, einen solchen Sitzplatz zu ergattern.
All’Arco
San Polo 436
Öffnungszeiten:
Montag bis Samstag: 8 – 14:30 Uhr
Ein kulinarischer Geheimtipp im Stadtsechstel San Marco
Wahrscheinlich wäre mir die schmale Gasse, die vom Campo Santo Stefano abzweigt, gar nicht aufgefallen, wenn ich nicht dort im Jahr 2018 mein Quartier bezogen hätte. Nur wenige Meter von meiner Eingangstür entfernt, erwarteten mich feine Cicchetti, die oftmals vor meinen Augen frisch zubereitet wurden. Der Raum ist winzig klein. Gleich daneben befindet sich die Trattoria da Fiore, laut meinem Gastgeber ebenfalls ein sehr empfehlenswertes Lokal.
Bacaro da Fiore
3461 Calle de le Boteghe
Öffnungszeiten waren für mich nicht herauszufinden
Cicchettifieber im Sestriere Cannaregio
Im Cannaregio ist nicht nur das jüdische Viertel von Venedig beheimatet, sondern auch eine Vielzahl von fantastischen Bacari. Besonders am Fondamenta dei Ormesini reiht sich ein Lokal an das andere. Zum ersten Mal war ich 2018 im November in der Gegend unterwegs, damals hatte nicht viel geöffnet und ich landete im urigen Ae Bricoe.
Beim zweiten Besuch im April war es sonnig und warm, die Leute tummelten sich am Kai und die Tische mit Blick auf den Kanal waren sehr begehrt. Wer keinen Platz bekam, setzte sich einfach auf den Boden. Ich wählte diesmal einen Platz auf einem Barhocker im Inneren des Bacaro. Zum ersten Mal verkostete ich eine vegetarische Option der Cicchetti (Tofu mit Seetang).
Ae Bricoe
2684 Fondamenta dei Ormesini
Öffnungszeiten waren für mich nicht herauszufinden
Nur ein paar Meter weiter haben mich die Cicchetti in der Bacareto da Ea Neni angelacht. Wahrscheinlich war es aber nur das Bier, denn an diesem Tag war es wirklich sehr heiß. Im da Ea Neni gibt es keine Sitzplätze.
Bacareto da Ea Neni
2737 Fondamenta dei Ormesini
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag: 10:30 – 18 Uhr
Als köstliche Neuentdeckung mit Blick auf die Basilica die Santi Giovanni e Paolo sollte sich die Osteria Al Ponte erweisen. Beim ersten Besuch tummelte sich eine Gruppe von Studenten um das Lokal und auf der Brücke davor. Da ich erst wenige Stunden zuvor in Venedig angekommen war, war ich hungrig und von der Qualität der Cicchetti begeistert. Genauso stellte ich mir meinen Empfang in Venedig vor!
Zwei weitere Male besuchte ich die Osteria, praktischerweise lag sie auf meinem Weg zur Vaporettostation Fondamente Nuove. Ich probierte auch die warmen Cicchetti, die ich normalerweise nicht so gerne esse. Alles schmeckte köstlich!
Die Osteria besteht aus zwei Räumen, es sind mehrere Tische zum Sitzen vorhanden. Eine Toilette gibt es auch.
Osteria Al Ponte
6378 Calle Larga Giacinto Gallina
Öffnungszeiten waren für mich nicht herauszufinden
Unterwegs im Sestriere Santa Croce
Streng genommen dürfte die Bacareto da Lele nicht auf dieser Liste stehen, da es hier keine Cicchetti, sondern Panini gibt. Die sind allerdings so gut (und günstig), dass ich euch dieses Lokal nicht vorenthalten möchte.
Das da Lele ist übrigens winzig klein, mehr als sechs Personen passen nicht hinein. Daher empfiehlt sich ein Besuch nur bei Sonnenschein. Im Außenbereich stehen einige Weinfässer und auch das Ufer des Kanals ist gesäumt mit Gästen, die einen Ombra zu sich nehmen und die wirklich köstlichen Panini zu sich nehmen. Der Spritz ist mit Abstand am günstigsten (€1,70) von allen besuchten Lokalen in Venedig.
Bacareto da Lele
183 Fondamenta dei Tolentini
Öffnungszeiten:
Montag bis Samstag: 6 – 20 Uhr
Wer nach Panini noch Gusto auf Cicchetti hat, landet ein paar Schritte weiter im Archicchetti Bacaro. Die Auswahl an Brötchen ist riesig, Spritz und Wein kann man in verschiedenen Größen bestellen. Im Unterschied zu anderen Bacari gibt es sehr viele Tische im Außenbereich.
Archicchetti Bacaro
183a Fondamenta dei Tolentini
Öffnungszeiten:
Montag bis Samstag: 11 – 21 Uhr
Sonntag: 11 – 20 Uhr
Die teuersten Cicchetti
Meine teuersten Cicchetti in Venedig habe ich in einem Lokal zu mir genommen, dessen Namen ich nicht mehr weiß. Ich stand müde am Campo Bandiera a Moro, wollte eine Pause machen und sah hinter der Glasvitrine Cicchetti auf Polenta. Jetzt ist Polenta nicht wirklich meine Leibspeise, aber probieren wollte ich die Häppchen allemal.
Sie schmeckten auch hervorragend, der Spritz ebenso und die 14 Euro habe ich trotzdem gerne bezahlt, denn schließlich spazierte Donna Leon an mir vorbei. Ja, genau, DIE Donna Leon!
Rezepte für Cicchetti
Na, hat dich dieser Beitrag hungrig gemacht? Ich sage es gleich: Zuhause schmecken Cicchetti nie so gut wie in Venedig. Aber wer Cicchetti selber machen möchte, findet in den folgenden Kochbüchern die passenden Rezepte:
Cicchetti und andere italienische Kleinigkeiten
Valentina Sforza und Lindy Wildsmith
erschienen bei Jacoby & Stuart
Cicchettario: Die legendären Rezepte des Al Bottegon in Venedig
Alessandra De Respinis
erschienen in der Dieterisch’schen Verlagsbuchhandlung
Online habe ich folgende Rezepte brauchbar gefunden:
Rezept für baccalà mantecato
Crostini mit Walnuss-Riccotta und Lardo
Und noch ein Vorschlag:
Reisebloggerin Ilona hat ebenfalls Bàcari in Venedig unsicher gemacht. Hier geht es zu ihrem Beitrag >> hier klicken <<
Für diejenigen, die noch Bedenken haben, während der Pandemie zu reisen, habe ich hier eine Übersicht bzgl. Reiserücktrittversicherung und Co. angehängt.
7 Kommentare
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
ich glaube, das ist der sinnvollste und verlockendste venedig blogartikel, den ich kenne 🙂
DANKE – auch im Namen der eventuell mitreisenden, immerhungrigen Männer unterwegs.
bussi
#wiederunterwegs
Das schaut alles gaaaanz großartig aus. Ich hab jetzt Hunger bekommen, aber auch viel über die Delikatessen Venedigs gelernt. Danke für den spannenden Beitrag!
Liebe Grüße, Christina
http://www.reiseweise.net
Hallo Reisebloggerin,
so ein schöner Artikel, der für mich genau eine Woche zu spät kommt, da ich gerade letzten Mittwoch in Venedig war. Mit diesem Wissen hätte ich auf alle Fälle ein Ciccetti in einer Bàcaro probiert und mich durch die Stadt geschlemmt. Schade, oder anders herum: ein Grund mehr unbedingt bald wieder nach Venedig zu fahren!!
Liebe Grüße,
Sabine
Es gibt immer einen Grund nach Venedig zu fahren!
Ein schöner Artikel. Ich habe die Bàcari letztes Jahr lieben gelernt und auch sie sind ein Grund, dass ich in 5 Wochen wieder in Venedig sein werde. Und per reinem Zufall kenne ich (durch die Gegend schlendernd) auch Dein Lieblingslokal in Dorsoduro – es ist auch mein Liebling 🙂
Liebe Grüße
Monika
bin schon wieder auf diesem artikel gelandet. am freitag simma dort und dann machen wir es genau so 🙂 bussi
Da läuft einem ja das Wasser im Mund zusammen 🙂 wir sind bald auch dort, ist schon auf der Liste 🙂