Castello in Venedig – Ein Spaziergang
Castello ist meine Antwort auf die Frage, welches Viertel man in Venedig unbedingt gesehen haben soll. Es könnte aber auch sein, dass ich morgen auf die gleiche Frage mit Dorsoduro oder Cannaregio antworte. Zu schön sind die einzelnen Stadtviertel in Venedig, die eigentlich Stadtsechstel genannt werden müssen. Viel schöner ist natürlich die italienische Bezeichnung „sestiere“.
Castello habe ich selbst lange Jahre vernachlässigt. Erst bei meinem letzten Besuch im Frühling bin ich einen ganzen Tag durch das Stadtviertel gelaufen. Ich fand einen Weg in das angeblich für Touristen verschlossene Arsenale, wandelte in einem Klostergang und betrachtete mit Lagunenwasser bedeckte Dogengräber. Natürlich wurden auch Cicchetti schnabuliert!
Wer mir allerdings durch die verwinkelten Gassen von Castello folgen möchte, muss gut mithalten können. Der Schrittzähler wird an diesem Abend im April die Zahl 20.679 ausspucken. Und das obwohl ich sogar einmal in das Vaporetto gestiegen bin um meine Tour abzukürzen.
Va bene, seid ihr bereit?
Auf den Spuren der Reisebloggerin durch Castello
Frühmorgens steige ich in Sant’Erasmo ins Vaporetto Nr.13. Ich fahre vorbei an Murano, an der Friedhofsinsel San Michele und wechsle das Boot an der Station Fondamente Nove. Mein Ziel ist die Insel San Pietro di Castello, wo mein Spaziergang durch Castello beginnen soll.
Zwei ältere Venezianerinnen zerren an der Haltestelle ihre vollgefüllten Einkaufswägen von Bord, Grüße werden ausgetauscht, die eine rauscht nach links, die andere nach rechts und verschwunden sind sie, in ihren ärmlich aussehenden Hauseingängen. Es geht einige Male um einige Ecken und schon stehe ich vor der Basilica di San Pietro di Castello. Das Gras am Campo leuchtet in frühlingsgrün. Ein begrünter Campo ist eine Besonderheit in Venedig.
Die Basilica gilt als Vorläufer von San Marco, sogar mit Bischofssitz und allem drum und dran, ein schiefer Kirchturm gehört natürlich auch dazu.
Über die Ponte S. Pietro laufe ich geradeaus zur Salisada Streta und biege rechts ab. Die Mauer des Arsenale kommt in Sicht, eine Brücke führt zu einer Pforte. Keine Chance, das mit elektronischen Hilfsmitteln bewachte Tor ist fest verschlossen. Ich drehe um, mein Weg führt mich vorbei an StreetArt über den Campo Ruga zur Fondamente S.Anna.
Ich halte mich rechts und lande direkt vis-a-vis vom Gemüseboot in der Trattoria alla rampa. Die Speisekarte verspricht köstliches authentisches ohne viel Schnick-Schnack. Ich bin bereit für den ersten Espresso des Tages.
Castello ist grün
Dermaßen gestärkt bewundere ich die Bronzestatue von Guiseppe Garibaldi, der über das grüne Castello wacht. Schließlich befinden sich in diesem Stadtteil die Giardini delle Biennale und noch weiter im Osten der Parco di Sant’Elena. Ich sehe kurz den Schildkröten zu, die sich im Wasser zu Füßen Garibaldis tummeln, lasse den italienischen Freiheitskämpfer hinter mir und schreite die Allee entlang.
Das Caffé im Palmenhaus lockt für eine zweite Pause. Als nächstes laufe ich den Fondamenta S. Giuseppe entlang und lande in der Chiesa di San Giuseppe, bevor es wieder retour in den Park geht. Die Biennale Gärten sind geschlossen, hinter den Absperrungen wird gebohrt und gehämmert und geflucht. Wenige Wochen nach meinem Besuch wird die 59. Biennale eröffnet werden.
Ich entdecke einen Triumphbogen, der sich etwas abseits zwischen den Bäumen versteckt, ein versteckter Triumph sozusagen, und lasse das grüne Venedig hinter mir. Ich spaziere Richtung Westen am Riva dei Sette Martiri entlang und luge an deren Ende rechts in die Via Guiseppe Garibaldi.
Diese Straße ist Napoleon zu verdanken, der dafür einen Kanal zuschütten ließ. Links und rechts befinden sich kleine Läden und Restaurants. Nach diesem Venedig sehnen sich die meisten Touristinnen und Touristen, es verspricht ein Stück Normalität.
Vom Schiffahrtsmuseum bis zum schönsten Kreuzgang in Venedig
Das Schifffahrtsmuseum trägt in italienischer Sprache den viel eleganteren Namen Museo Storio Navale. Der ehemalige Getreidespeicher in Castello ist bis zur Decke vollgestopft mit Schiffsmodellen, Uniformen und Schiffszubehör. Ausgestellt ist unter anderem die Gondel, mit der sich Peggy Guggenheim durch die venezianischen Kanäle schippern ließ.
Aus dem Museum kommend biege ich rechts in die Fondamente Arsenale und stehe bald vor der außergewöhnlichsten Fabrik, dem Arsenale. Gegründet wurde die Schiffswerk im 12.Jahrhundert. Zur Hochzeit im 16. Jhdt. werkten bis zu 16.000 Arbeiter hinter den Mauern. Es wird erzählt, dass es durch strukturierte Arbeitsabläufe gelang, ein Kriegsschiff innerhalb von 24 Stunden zu bauen.
Am prächtigen Tor werde ich abgewiesen, ein Großteil des Areals steht unter der Verwaltung des italienischen Militärs. Doch es gibt Hintertüren und ich werde wenige Stunden später das Gelände betreten, natürlich ganz legal.
Mittlerweile ist es Mittag geworden, mein Magen knurrt.
Ich spaziere Richtung Westen und lande am hübschen mit Bäumen bepflanzten Campo Bandiera e Moro. Hier werde ich die ersten Cicchetti des Tages verkosten. Es werden die teuersten und nicht die besten meiner Venedigreise sein, aber es werden die einzigen sein, die ich auf Polentascheiben serviert bekomme.
Zusätzlich ereignet sich am Campo Bandiera e Moro ein weiteres Spektakel. Die berühmte Schriftstellerin Donna Leon wird von mir beobachtet ein Geschäft betreten. Wenn also in einem der nächsten Brunettikrimis ein bestimmter Laden eine Rolle spielt, werde ich ihn erkennen und mit Fug und Recht behaupten dürfen, ich war bei der Recherche dabei.
Nach soviel Aufregung schlängele ich mich durch die Gassen und lande vor der Scuola di San Grande degli Schiavoni. Mein Sinn steht nach Kunst. Vittore Carpaccio zeichnet sich für den Gemäldezyklus der Georgslegende verantwortlich, der in der Bruderschaft der Dalmatiner (Schiavoni) vollständig erhalten geblieben ist.
Meine Schritte führen mich weiter zur Chiesa di San Francesco della Vigna, wo ich das Glück habe, die Pforte zum Kreuzgang geöffnet vorzufinden. Venedig, so ruhig, so schön, so wunderbar, so bezaubernd. In der Kirche selbst krame ich nach Kleingeld, ansonsten bleiben mir die Schönheiten von Bellinis „Madonna mit Kind“ verborgen.
Auf zum Arsenale!
Über die Corta da Ponte marschiere ich schnellen Schrittes bis zur Anlegestelle Celestia. Ich biege rechts in die Calle Giazzo und wandere entlang der Mauer des Arsenale auf einem Steg direkt über dem Wasser der Lagune. Ein bisschen wie Jesus, nur mit Hilfsmitteln.
Am Ende der Mauer tauchen niedrige Häuser mit Garten auf. Zwischen den letzten beiden Gebäuden weist mich ein unscheinbarer Wegweiser mit der Aufschrift Tesa 105 nach rechts. Ich folge der Beschilderung, öffne ein großes Tor und stehe in einer riesigen Werfthalle, die ich durchquere.
Ich könnte mir jetzt im Café, das in der Halle untergebracht ist, Espresso Nummer drei gönnen, doch ich bin zu neugierig, was das Arsenale zu bieten hat. Kräne, Ausstellungen, ein U-Boot, Werkshallen, Türme, Kunst, Ausblicke.
Noch mehr Einblicke in die faszinierende Architektur des Werftgeländes bekommen Besucher anlässlich der Biennale. Denn zu diesem Zeitpunkt sind noch weitere Gebäude für die Öffentlichkeit zugänglich.
Der Spaziergang durch Castello ist noch nicht zu Ende
Meine Füße melden eindeutige Ermüdungserscheinungen und so besteige ich an der Station Bacini das Vaporetto, das ich bei San Zaccaria verlasse.
Mein Weg führt mich zum Campo San Zaccaria. Wie oft bin ich schon an der prächtigen Fassade der Kirche vorbeigelaufen? Heute zieht es mich in das Innere. Berühmt ist die Kirche vor allem für das Altarbild von Giovanni Bellini, das die Muttergottes mit Kind umgeben vom Apostel Petrus, der Heiligen Katharina, der Heiligen Lucia und dem Kirchenvater Hieronymus zeigt.
Für die Kirche selbst ist kein Eintritt zu bezahlen. Der wird erst fällig, wenn man die Sakristei und die Krypta besuchen möchte. Die Mehrheit des Jahres steht der unterirdische Raum unter Wasser. Angeblich sollen hier acht Dogen begraben worden sein.
Kreuz und quer führt mich mein Weg Richtung Norden.
Ich blicke auf Türme von Kirchen, die ich schon längst einmal besuchen wollte. Die Chiesa di San Giorgio dei Greci mit ihrem schiefen Turm ist zum Beispiel so eine Kirche. Was verbirgt sich hinter der Fassade von San Lorenzo?
Irgendwie und irgendwann lande ich in der Calle de Cafetier in einem kleinen schmucken Geschäft namens Arzanart. Es gibt marmoriertes Papier, echtes Handwerk aus Venedig. Wer sich rechtzeitig anmeldet und einen Workshop bucht, lernt Marmorpapier herzustellen, verspricht Isabella, die Eigentümerin des Ladens.
Der Name der Gasse verspricht mir fantastischen Kaffee an deren Ende, wo sie in den Campo Santi Giovanni e Paolo mündet. Dort, wo die beiden Fassaden der Scuola Grande di San Marco und der Basilika Santi Giovanni e Paolo eine architektonische Meisterleistung bilden, bewacht vom Reiterstandbild Bartolomeo Colleonis.
In der Kirche befinden sich die monumentalen Sarkophage und Grabmäler von 25 Dogen, ein jedes ist prächtig verziert. Und im großen Saal der Scuola Grande di San Marco mit der vergoldeten Kassettendecke blättere ich durch berühmte Handschriften, natürlich nicht in den Originalen, sondern in Faksimileausgaben.
Mein letzter Weg des Tages führt mich direkt vis-a-vis der Basilika über eine Brücke in die Osteria al Ponte. Mit Blick auf die Basilika und dem Treiben davor genieße ich mit einem Aperol Spritz die vielleicht besten Cicchetti Venedigs und sage „Salute!“.
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
Wunderschöner Bericht über Castello!
Letztes Jahr war ich 1 Tag in Dorsoduro unterwegs, dass ebenfalls eine Erkundung wert ist.
In ein paar Tagen, am 29.9.24 fahren wir wieder eine Woche nach Padua und davon 2 Tage nach Venedig. Diesmal werden wir jetzt sicher Castello besichtigen.
Danke für den Tipp!!!!