Kazimierz – Das jüdische Viertel von Krakau
Was für ein Privileg in Kazimierz, dem jüdischen Viertel von Krakau, zu wohnen! Ich schiebe meinen Rollkoffer Richtung Klezmer-Hois und danke im Stillen meinem Gastgeber Krzysztof, der mich mit Tipps über Krakau versorgte und auch für die Hotelauswahl zuständig war.
Das Klezmer-Hois in Kazimierz
Das Klezmer-Hois liegt am Rande des Stadtviertels Kazimierz, ein bisschen abseits und doch mittendrin. In früheren Zeiten wurde das Gebäude als rituelles Badehaus (Mikwe) genutzt.
Den Schlüssel für mein Dachzimmer bekomme ich unkompliziert von der Kellnerin des Restaurants überreicht, denn das Klezmer-Hois ist heutzutage alles zugleich: Hotel, Restaurant, Kaffeehaus, Gastgarten, Konzertsaal und Buchhandlung.
Täglich wird ein grandioses Frühstück serviert, und ich, die ich normalerweise auf Städtereisen schnell irgendwo einen Espresso und süßes Gebäck zu mir nehme, kann gar nicht anders, als dass ich mich am frühen Morgen kulinarisch verwöhnen lassen. Erst dann ziehe ich los um das jüdische Viertel zu erkunden.
Das jüdische Stadtviertel Kazimierz
Das Stadtviertel Kazimierz trägt den Namen zu Ehren seines Gründers Kasimir des Großen. Ursprünglich waren es einzelne Dörfer, die zu einer Stadt zusammengefügt wurden. Erst 1800 wurde es eingemeindet und wurde somit Teil von Krakau. Die Pogrome in Westeuropa führten dazu, dass sich viele Juden in Krakau niederließen, die meisten siedelten sich in Kazimierz an.
Im Laufe der Zeit entstanden Synagogen und Schulen und Kazimierz wurde das jüdische Zentrum von Krakau. Im März 1941 wurde dann alles anders. Die Wehrmacht marschierte in Krakau ein. Alle Juden, man spricht von etwa 64.000 Personen, wurden gezwungen in das Ghetto im Stadtviertel Podgórze umzusiedeln, von wo aus die Deportationen in die Konzentrationslager Plaszow und Auschwitz und in das Vernichtungslager Belzec begannen. Nur wenige Juden überlebten diesen Wahnsinn.
Filmdrehort Kazimierz
Und die wenigen verdanken ihr Überleben dem Fabrikanten Oskar Schindler, dem Steven Spielberg mit dem Film „Schindlers Liste“ ein Denkmal setzte.
Ich kann es nicht beschwören, aber das Stadtviertel würde heute wohl anders aussehen, wenn es nicht Filmdrehort gewesen wäre. Es wirkt ein bisschen zu aufpoliert, zu stylisch, zu hübsch und an manchen Orten wie eine Kulisse. Touristinnen und Touristen aus aller Herren Länder sind auf den Spuren der Vergangenheit unterwegs und suchen das ursprüngliche, längst vergangene Krakau.
Und aus genau diesem Grund bin ich ebenfalls in Kazimierz unterwegs, auf den Spuren der jüdischen Vergangenheit.
Die Synagogen von Kazimierz
Im Gegensatz zu Wien sind in Krakau noch viele Synagogen erhalten. In der Remuh Synagoge wird heute noch gebetet, in die Popper Synagoge ist eine Buchhandlung eingezogen, die Alte Synagoge dient als Museum und in der Tempelsynagoge finden Konzerte statt.
Wer nur wenige Stunden Zeit hat, sollte auf jeden Fall die Remuh Synagoge mit dem angrenzenden alten jüdischen Friedhof besuchen.
Die Remuh Synagoge oder Neue Synagoge
An meinem Anreisetag, dem Freitagnachmittag, stehe ich vor verschlossenen Türen. Ich nenne mich selbst Dummkopf, denn eigentlich sollte ich wissen, dass an den kirchlichen Festtagen die Synagogen nur für gläubige Juden geöffnet sind.
Zwei Tage später habe ich mehr Glück, ich spaziere durch das mit zwei Löwen verzierte steinerne Tor vorbei an Grabsteinen zum Eingang der Remuh Synagoge. In einem kleinen Vorraum bezahle ich die Eintrittsgebühr und betrete dann den Hauptgebetssaal der jüdischen Gemeinde von Krakau.
Er ist klein, winzig klein, wie ich finde. Die hölzernen Bänke zeigen Richtung Osten, dort wo sich der in Stein gemeißelte Thoraschrein befindet. Über dem Schrein befinden sich die Dekalogtafeln und nochmals darüber ein halbrundes Fenster, das Licht durch den Gebetsraum strahlen lässt.
Es herrscht eine besondere Atmosphäre in dem Raum, was wahrscheinlich der Intimität zuzuschreiben ist und der Gewissheit, dass hier drinnen immer noch gebetet wird. Es ist ein Raum des Glaubens.
Erbaut wurde die Remuh Synagoge im Jahre 1558 im Stil der Renaissance. Es ist der zweite Bau an dieser Stelle, denn das erste Haus brannte ab. Gestiftet wurde das Gebäude vom Bankier Israel Isserles Auerbach für seinen Sohn Moses.
Moses Isserles Auerbach war ein Gelehrter, Talmudkenner und Rabbi. Aus den Anfangsbuchstaben seines Namens leitet sich der Name „Remuh“ ab. Rabbi Isserles ist am angrenzenden Friedhof begraben und sein Grabstein ist angeblich der einzige, der die Zeit des Nationalsozialismus überlebt hat.
Der alte jüdische Friedhof
Durch eine schmiedeeiserne Tür gelange ich vom Hof der Synagoge in den alten jüdischen Friedhof. Die wenigsten Grabsteine sind an der ursprünglichen Stelle zu finden, der Friedhof wurde im Lauf der Zeit renoviert.
Das bekannteste Grabmal ist das von Moses Isserles. Man erzählt die Geschichte, dass die Nationalsozialisten die meisten Gräber am Friedhof zerstören ließen, doch als ein Arbeiter den Grabstein des Rabbi zerstören wollte, soll den Arbeiter der Blitz getroffen haben.
Auch am heutigen Tag sprechen gläubige Juden Gebete vor dem Grabstein, am Todestag des Rabbis reisen Gläubige aus der ganzen Welt an, um ihn zu ehren.
Die Popper Synagoge an der Szeroka Straße
Die Szeroka Straße (Breite Straße) wirkt so ein bisschen wie das Herz des jüdischen Krakau. Hier befinden sich neben der Mikwe, in der ich wohne, auch drei Synagogen. Zusätzlich reiht sich ein Lokal an das andere und am Abend tönen jiddische Lieder über den Platz.
Zwischen zwei Restaurants, die jüdische Kost anbieten, liegt die Popper Synagoge. Schon der kleine Vorraum quillt über vor Büchern und als ich dann im ehemaligen Gebetsraum stehe, bin ich überwältigt: Bücher, Bücher und noch mehr Bücher!
Der Verlag Austeria hat in den Räumen der Popper Synagoge seine Heimat gefunden und bietet Bücher mit dem Schwerpunkt jüdischer Geschichte und Literatur an. Etwas ganz besonderes sind die hochwertigen Notizbücher mit Zitaten und Bildern.
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Die Alte Synagoge – Stara Synagoga
Die Alte Synagoge ist das älteste erhaltene jüdische Gotteshaus in ganz Polen. Ursprünglich war das Gebetshaus nur Männern vorbehalten, erst im Laufe der Jahre wurden an das Gebäude Frauenbetsäle angefügt. Am einprägsamsten waren wahrscheinlich die Umbauten des florentinischen Architekten Matteo Gucci, der das Kreuzrippengewölbe auf zwei schmale toskanische Säulen setzte.
Die Bima ließ er auf einem steinernen Sockel in der Mitte des Raums errichten, ein wahrhaft würdiger Platz um aus der Thora zu lesen.
Über Jahrhunderte war die Alte Synagoge in Kazimierz das Zentrum der Juden. Während der Nazizeit wurde die Synagoge verwüstet, die wichtigsten und schönsten Kultgegenstände wurden zerstört.
Dass heute wieder Gegenstände aus dem jüdischen Leben gezeigt werden, ist dem Historischen Museum der Stadt Krakau zu verdanken.
So werden in den Vitrinen im Hauptgebetssaal die wichtigsten Bräuche und Rituale der jüdischen Gemeinde erklärt. Besucherinnen und Besucher erfahren alles über Sabbat, Rosch Haschana, Jom Kippur, dem Laubhüttenfest, Hannukah, Purim und Pesach, also über die wichtigsten Feste der Juden.
Meine Empfehlung: mindestens 2 – 3 Stunden Aufenthalt, wenn man alles genau lesen und anschauen möchte.
Die Tempel Synagoge oder Die Fortschrittliche Synagoge
Das Besondere an den Krakauer Synagogen ist meiner Meinung nach der Umstand, dass sie zu unterschiedlichen Zeiten entstanden. So bin ich ehrlich gesagt überrascht, als ich nach Bezahlung des Eintrittsgeld im Gebetsraum der Tempel Synagoge lande.
Das Innere erinnert mich eher an eine katholische Kirche als an eine Synagoge. Vielleicht ist das dem Umstand geschuldet, dass die Tempel Synagoge erst im 19.Jhdt. gebaut wurde? Oder dass ich noch in keiner Synagoge bunt geschmückte Glasfenster bewundern konnte?
Die Tempel Synagoge wird übrigens nicht umsonst Fortschrittliche Synagoge genannt. Die Predigten wurden in deutscher und polnischer Sprache abgehalten, außerdem wurde es den Frauen gestattet im Chor mitzusingen.
Angeblich wurde das Innere des Gotteshauses während der Besatzungszeit nicht so stark zerstört wie die anderen Synagogen in Krakau. So wurden nach Ende des Zweiten Weltkrieges bald wieder Gottesdienste in der Tempelsynagoge abgehalten.
Mein Rundgang durch das jüdische Viertel von Krakau
- Neuer jüdischer Friedhof
- Klezmer Hois mit Mikwe
- Remuh Synagoge mit Friedhof
- Popper Synagoge
- Alte Synagoge
- Gebetshaus (Tora Synagoge) – nur von außen zu besichtigen
- Hohe Synagoge (nur von außen zu besichtigen)
- Isaak Synagoge (nur von außen zu besichtigen)
- Kupa Synagoge (habe ich nicht besucht)
- Tempel Synagoge
- Plac Nowy (Jüdischer Platz)
Weitere Sehenswürdigkeiten in Kazimierz
Neben den besuchten Synagogen gibt es im Stadtviertel Kazimierz noch weitere Sehenswürdigkeiten. Manche haben mit der jüdischen Geschichte zu tun, andere jedoch gar nicht. So empfiehlt sich auch der Fronleichnamskirche einen Besuch abzustatten oder ein Spaziergang zur Paulinerbasilika mit einem Besuch der Krypta.
Museumsliebhaber finden außerdem drei Museen in Kazimierz (ich habe leider keines der drei besucht):
Ethnografisches Museum
Museum der Stadttechnik
das Galizische jüdische Museum
Ein Ausflug ins Stadtviertel Podgórze
Wer sich für jüdische Geschichte in Krakau interessiert, wird früher oder später im Stadtviertel Podgórze landen.
In diesem Krakauer Stadtviertel steht nicht nur die Emailfabrik von Oskar Schindler, die auf jedem Krakauer Besichtigungsprogramm steht. Sehr eindrucksvoll präsentiert sich auch die Kunstinstallation am „Platz der Ghettohelden“ und einen Besuch in der Apotheke „Unter dem Adler“ sollte man unbedingt ebenfalls einplanen.
Podgórze ist auf jeden Fall einen eigenen Blogartikel wert, auch wenn das bedeutet, dass ich noch einmal nach Krakau fahren muss. Denn ich habe längst nicht alles gesehen.
Ich wurde von Polen Tourismus nach Krakau eingeladen.
6 Kommentare
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
Ein super Artikel, irre – die Map mit den locations ist sehr praktisch. Ich war zwar auch mal in Krakau aber nach der lektüre deines Artikels glaube ich, damals gar nix wirklich gesehen zu haben.
Sehr spannend. Ich war bei meinem Besuch nur recht kurz im jüdischen Viertel und habe dabei offensichtlich recht viel verpasst. Allerdings war ich – wenn ich die Bilder richtig erkenne – sogar in deinem Hotel zum Abendessen. Das war sehr lecker und für mich eine spannende kulinarische Erfahrung. Sehr empfehlenswert finde ich ausserdem das Museum zur Geschichte der polnischen Juden in Warschau.
Leider war ich nicht in dem von dir erwähnten Museum. Aber ich denke, ich war nicht zum letzten Mal in Krakau, die Stadt hat mir außerordentlich gut gefallen!
Liebe Gudrun,
Krakau steht schon ewig auf meiner Liste. Vielen Dank fürs Mitnehmen! Besonders gut gefällt mir die Karte für den Überblick. Der Artikel wird gleich gespeichert :-).
Liebe Grüße
Elke
Herzlichen Dank für Dein Lob!
Danke für den ausführlichen Bericht und die wunderbaren Fotos.
Ich war im letzten Jahr mit meiner Familie in Krakau und habe durch deine Fotos alles nochmal gesehen und mich erinnert.
Ich habe keine Fotos gemacht, irgendwie hat mich ein Gefühl davon abgehalten.
Ich habe noch einige Orte mehr gesehen in Krakau. Wir hatten einen sehr guten Scout der uns sehr viel erzählen konnte.
Wir werden nie vergessen was damals geschah.!