Bären beobachten in Estland
Bären beobachten in Estland stand eigentlich nicht auf meinem Besichtigungsplan während meiner Baltikum Rundreise. Und doch war mir schon im Soomaa Nationalpark im Eingangsbereich des Nationalparkhauses ein Plakat aufgefallen: „Bear Watching and Photography in Estonia“ hieß es da. Ein eindrucksvoller Bär mit nassen Pfoten, in aufrechter Position und leicht geneigten Kopf blickt auf dem Werbeposter nicht direkt in die Kamera, sondern daran vorbei. Das Tier sieht aus, als würde es etwas wahrnehmen, beobachten, hören oder riechen.

Bären beobachten in Estland
Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich bis zu diesem Zeitpunkt wusste, dass es in Estland Bären gibt. Wahrscheinlich habe ich es irgendwo einmal aufgeschnappt, doch die meisten Bären in Europa verortete ich in Slowenien. Mit dieser Vermutung lag ich gar nicht mal so falsch, habe aber laut dieser Karte auf die größere Bärenpopulation in den Karpaten vergessen. Bären in Europa >>hier klicken<<
Die Population an Braunbären in Estland wird zwischen 800 – 1000 Tiere geschätzt, je nachdem auf welcher Webseite ich nachlese. Der Lebensraum in Estland ist für Bären optimal. Schon während unserer Reise mit dem Wohnmobil durch das Baltikum waren uns die großen Waldflächen aufgefallen. Wald, der im Laufe von Jahrhunderten in vielen anderen Staaten Europas abgeholzt wurde.
Die Einwohner Estlands haben allerdings ein besonders Verhältnis zu ihren Bäumen und den Wäldern samt Bewohnern. Es gibt genügend Platz für alle.

Wo sind denn nun die Bären?
Bei der Bärendichte in Estland könnten wir uns also auch einfach in den Wald setzen und warten, bis einer vorbei kommt. Aber die Chance einer Bärensichtung ist um einiges größer, wenn man nichts dem Zufall überlässt. Wobei der Zufall dann doch wieder eine Rolle spielte, denn im Lahemaa Nationalpark fand ich ein weiteres Plakat von NaTourEst mit dem mir bereits bekannten Foto eines Bären. Und somit war klar: Ja, ich will einen Bären in freier Wildbahn sehen!
NaTourEst, ein estnisches Unternehmen mit viel Erfahrung im Naturtourismus, macht mir diese Erfahrung möglich. Die engagierten Naturguides kauften ein knapp 90 Hektar großes Grundstück in der Region Alutaguse und errichteten auf diesem zwei Beobachtungshütten. Natürlich sind nicht nur Bären willkommene Gäste, sondern auch Elche, Biber, Füchse, Otter und Wildschweine. Und wenn mir der eine oder andere Vogel vor die Linse kommt, habe ich auch nichts dagegen.
Die Buchung auf der Webseite ist denkbar einfach: Datum und Personenanzahl eingeben, Fernglas dazubuchen, bezahlen via Kreditkarte oder vor Ort und schon fiebere ich dem Abenteuer Bär entgegen.

Auf zur Bärenbeobachtungshütte
Nach erfolgter Buchung wird uns ein Treffpunkt bekanntgegeben, wo ein hölzerner Bär und ein Guide in Menschengestalt auf uns wartet. Von diesem Punkt aus geht es zu Fuß etwa 1,5 Kilometer auf einem Pfad durch den Wald.
Während der kurzen Wanderung können wir Fragen stellen, in der Hütte selbst ist nur noch Flüstern erlaubt. Beide Beobachtungshütten stehen am Rand einer Lichtung. An den beiden Längsseiten der Hütten sind die Fenster angeordnet, darunter befinden sich Luken zum Fotografieren, die wir jetzt bei unserer Ankunft öffnen dürfen.
Ansonsten sind die Hütten spartanisch, aber durchaus gemütlich eingerichtet. Es gibt Stockbetten mit Schlafsäcken und Polstern, Sesseln an beiden Fensterfronten, Fleckerlteppiche überall am Boden und eine Trockentoilette. Mittels Lautsprechern holen wir uns den Sound der Natur in die Hütte. Strom und Fließwasser sucht man vergebens, diese sind aber auch nicht notwendig beim Beobachten von Tieren.
Kaum verlässt uns der Guide, huscht ein Tier mit markantem Gesichtsfeld über die Lichtung.



Welche Tiere gaben uns die Ehre?
„Ein Waschbär!“ flüstere ich verzückt. Die Eichelhäher keckern aufgeregt, ein Kuckuck ruft ununterbrochen sein Lied, als plötzlich ein Wildschwein vor uns auftaucht.
Die nächsten Stunden vergehen wie im Flug. Das Wildschwein zerpflügt den Boden und wir wechseln ständig zwischen den beiden Fensterfronten hin und her. Die Geräusche von Zilpzalp und dem unermüdlichen Kuckuck wird in unsere Hütte übertragen. Mittlerweile ist es 22 Uhr, doch dank des Datums, wir schreiben den 20.Juni, taghell.
Der Waschbär taucht mal hier, mal da auf und schleicht durch die Naturkulisse wie ein Schauspieler auf einer Bühne, der etwas verloren hat. Irgendetwas irritiert mich an dem Tier und ein genauer Blick durchs Fernglas lässt mich meinen Irrtum erkennen: Der vermeintliche Waschbär entpuppt sich als Marderhund.




Marderhund und Wildschwein liefern sich von nun an ein Wettrennen an hochgradiger Nervosität. Kaum bewegt sich das eine Tier, zuckt das andere zusammen und umgekehrt. Mittlerweile ist es 22:30, die Konturen der Birken verschwimmen in der beginnenden Dämmerung. Das Wildschwein wühlt sich durch das Laub, der Kuckuck müsste schon heiser sein und gibt trotzdem nicht auf.
Da schält sich plötzlich ein großer, dunkler Fleck aus dem dunklen Wald. Der Schatten kommt näher. Das Wildschwein erstarrt, wir machen es ihm gleich, halten die Luft an vor Begeisterung, nicht bewegen, nichts reden, keinen Mucks geben wir von uns.
Und der Bär, der plötzlich wie auf einem Präsentierteller vor uns auf der Lichtung sitzt, blickt neugierig in unsere Richtung.





Offenlegung:
Wir waren zweimal Bären beobachten in Estland. Das erste Mal am 20.Juni auf eigene Kosten, das zweite Mal am 3.Juli auf Einladung von NaTourEst. Beim zweiten Mal tauchte der Bär wesentlich früher auf und wir konnten ihn über mehrere Stunden beobachten. Ebenfalls blicken ließen sich Marderhunde, Wildschwein, Rehe, Eichelhäher und Buntspecht.
Die Bärenfotos im Beitrag stammen alle von der zweiten Sichtung am 3.Juli.
NaTourEst bietet neben den bereits erwähnten Bärenbeobachtungshütten auch andere Naturerlebnisse an. So kann man sich mit Naturguides auf die Suche nach Wölfen und Luchsen machen oder eine Birdwatching Tour buchen.
Bitte beachten: Die Natur ist kein Zoo. Wer ein Tier zu sehen bekommt, hat großes Glück und darf sich über die Sichtung freuen. Eine Garantie auf eine Wildtiersichtung besteht allerdings nicht.
10 Kommentare
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
Ach, wie toll! Es freut mich, dass Ihr gleich zweimal die Gelegenheit hattet, einen Bären zu entdecken. Und dann auch noch Marderhunde und Wildschweine <3 Wir hatten in der Bärenhütte von Natourest ja leider weniger Glück und haben außer ein paar Vögeln nichts gesehen. Aber wie Du schon schreibst: Das ist halt Natur!
Ja, wir hatten beide Male echt Glück…
Liebe Gudrun,
das muss sicherlich ein tolles Erlebnis gewesen sein, was mich auch sehr reizen würde. Wie schön, dass ihr direkt zweimal Glück hattet!
Habt ihr in den Hütten denn dann auch übernachtet? Oder ging es in der Nacht dann wieder zurück?
Ein schöner Artikel!
Viele Grüße,
Sina
Man übernachtet in den Hütten und verlässt am nächsten Morgen den Ort…
Hallo Gudrun,
was für großartige Fotos – vor allem von dem Bären. Ich erinnere mich gut an meinen Kanadaurlaub 2019 und das jeweilige Gefühl, wenn irgendwo am Straßenrand ein Bär auftauchte. Ich fand das unbeschreiblich schön, auch wenn ich froh war, im Auto geschützt zu sein. Tolles Erlebnis, über das Du hier schreibst und: Mir war auch überhaupt nicht klar, dass es so viele Bären in Estland gibt. Hui 😉
Liebe Grüße
Sandra
Das mit den vielen Bären in Estland wusste ich auch nicht. Dass es Bären in Kanada gibt, weiß ich allerdings 🙂
Hallo Gudrun
Man lernt doch nie aus. Wußte gar nicht das man in Estland Bären besuchen kann. Na ja, so haben wir was neues für unsere To Do Liste auf der nächsten Reisen in dieses faszinierende Land.
Mike
Diese to-do-Listen werden immer länger, oder?
Wow, wie genial ist das denn? Das muss ich mir unbedingt merken, wenn wir nochmal ins Baltikum kommen. Wir waren nämlich auch schon mal dort.
Wow, was für ein Erlebnis! Schön, dass du Glück mit Bär & Co. hattest, ist ja echt nicht selbstverständlich und wie du schreibst: die Natur ist kein Zoo.
Liebe Grüße
Christian