Soweto: The good, the bad and the ugly
Ein Gastbeitrag über Soweto von Sonja Warter
Nach meiner Vorstellung, die wohl von höchst veraltetem Schulwissen geprägt ist, war Soweto mehr oder weniger der schlimmste Ort Südafrikas: extrem arm, brandgefährlich und ziemlich dreckig.
Ob das (nach wie vor) stimmt? Heute finde ich es heraus.
Es ist schon später Nachmittag, als ich mich mit meinem Guide von Soccer City kommend der Ortsgrenze nähere. Zum Glück ist es noch hell, was uns wohl beiden lieber ist.
South Western Townships: eine heterogene Gegend
Soweto – das ist übrigens die Abkürzung für South Western Townships – passt tatsächlich zu meiner Vorstellung, und an anderen Stellen überhaupt nicht. Es ist wie ganz Südafrika: höchst heterogen. Mein Guide, der selbst in Soweto lebt, ist jedenfalls fest entschlossen, mir „The good, the bad and the ugly” Soweto zu zeigen.
Beginnen wir mit „The good“: Es gibt hier Teile, die eindeutig der schwarzen Mittelschicht zuzuordnen sind und aussehen wie in einem amerikanischen Vorort. Einfamilienhaus reiht sich an Einfamilienhaus, Vorgarten an Vorgarten. Es gibt sogar Hotels und Bed & Breakfasts. Die Leute plaudern auf der Straße, Kinder spielen Fußball. Mein Fahrer grüßt und winkt unentwegt. Eine Vorstadtidylle.
Aber es gibt auch „The bad“. Denn in anderen Gegenden Sowetos schaut die Sache weniger gut aus. Ich sehe sehr einfache, nennen wir sie Reihenhäuschen, die Menschen unter der Armutsgrenze von der öffentlichen Hand zugewiesen werden. Dafür muss man sich anmelden, die Wartezeiten sind allerdings lang – 10 Jahre sind keine Seltenheit. Währenddessen wohnen die Leute in regelrechten Baracken, teilweise schiefen Wellblechhütten, die aussehen, als könnten sie schon vom kleinsten Windstoß umgeweht werden.
Wäsche hängt über rostigen Zäunen, Fenster haben die winzigen Behausungen oft nicht. Manche Menschen versuchen mit dem Verkauf von Obst und Gemüse am Straßenrand zu überleben. Elektrizität und fließendes Wasser sind nicht für alle zugänglich. Ein Vergleich mit den brasilianischen Favelas drängt sich auf. Diese Art von „Siedlungen“ sind übrigens nicht nur ein Phänomen in Soweto, man sieht sie um alle großen Städte. In Kapstadt sogar gegenüber vom internationalen Flughafen.
Doch nun zu „The ugly“: Dreckiger Plastikmüll türmt sich in den ärmeren Gegenden überall links und rechts der Straße, und zwar in rauen Mengen. Niemanden scheint es zu kümmern. Es wirkt nicht so, als ob ihn jemals jemand wegräumen würde. Und das obwohl immer mehr Tourist:innen hierher kommen. Zwar gibt es in Südafrika genauso wie in Europa Initiativen, Plastikverpackungen zu reduzieren und zu recyclen, bis Soweto hat sich das aber nicht herumgesprochen.
Die Straße der Nobelpreisträger
Im Ortsteil Orlando weist mich mein einheimischer Begleiter auf ein einfaches grünes Schild mit der Aufschrift „Vilakazi Street“ hin. Dahinter verbirgt sich eine kleine Sensation. Es ist die einzige Straße der Welt, in der zwei Nobelpreisträger gelebt haben: Nelson Mandela und Desmond Tutu.
In eben dieser Straße befindet sich das Mandela House, also jenes Haus, in dem der ehemalige Anwalt genauso wie seine zweite Frau Winnie viele Jahre lang gewohnt haben. Heute ist es ein kleines Museum.
Wer dort denselben lustigen Guide erlebt wie ich, darf sich in der Sprache der Xhosa, Nelson Mandelas Stamm, üben. Und wird wahrscheinlich scheitern. Denn Xhosa ist eine Sprache mit ganz speziellen Klicklauten, und die sind für uns Europäer eher unaussprechlich.
Zu sehen sind Bilder aus dem Leben eines fast übergroßen Mannes – manchmal liebevoll „tata“ (Xhosa für Vater) genannt –, Zitate aus seinen berühmten Reden und … Einschusslöcher. Die stammen ebenso wie die Brandspuren von einem Anschlag auf das Haus, als der Widerstandkämpfer im Gefängnis war.
Bedrückendes Hector-Pieterson-Memorial
Leichte Kost kriege ich auch nach diesem Museumsbesuch nicht. Das Hector-Pieterson-Memorial steht im selben Ortsteil, gar nicht weit weg. Mir laufen eiskalte Schauer über den Rücken, als mir mein Fahrer und Guide die dazugehörige Geschichte erzählt:
Soweto, 1974. Afrikaans, das als Sprache der weißen burischen Herrschaftsschicht galt, wurde mittels Erlass als Unterrichtssprache in den Schulen eingeführt. Die schwarzen Schüler:innen, die diese afrikanische Version des Holländischen naturgemäß nicht oder kaum beherrschten, fühlten sich dadurch noch weiter ihrer Chancen auf Bildung beraubt. Um sich dagegen zu wehren, veranstalteten sie am 16. Juni 1976 etwa 15.000 schwarze Schüler:innen eine friedliche Demonstration. Was gewaltfrei begann, endete mit einem mehr als blutigen Polizeieinsatz. Die daraus entstehenden Unruhen dauerten mehrere Jahre an.
Bekanntestes Opfer dieser brutalen Niederschlagung eines ursprünglich harmlosen Protests wurde der 12-jährige Schüler Hector Pieterson. Das Foto des Fotografen Sam Nzima, das zeigt, wie der blutüberströmte Junge, begleitet von seiner weinenden Schwester, vom Studenten Mbuyisa Makhubo zum nächsten Spital getragen wurde, ging um die Welt. Hector Pieterson starb, der Fotograf musste aus Angst vor Regierungsrepressalien sämtliche Job-Angebote renommierter Zeitungen ablehnen. 2016 erklärte das Time Magazine das Foto zu einem der 100 einflussreichsten aller Zeiten. Und Mbuyisa Makhubu? Der Student wurde von den Behörden so lange schikaniert, bis er das Land verließ. Er wurde nie wieder gesehen.
Das überdimensionale Foto beim Memorial dient bis heute als stummer Zeuge dieser schrecklichen Geschehnisse.
Die Rainbow-Nation
Seit damals hat sich viel verändert. Die südafrikanische Bevölkerung ist jung, die meisten haben die Apartheid nicht mehr erlebt. Mir begegnen im Laufe meiner Reise glücklicherweise viele selbstbewusste junge schwarze Südafrikaner:innen und ich erlebe keine einzige Situation, in der eine:r von ihnen von einem/einer Weißen schlecht behandelt wird.
Ob es noch heute Apartheidsanhänger gibt? Bestimmt. Und es wird sie vermutlich auch immer geben. Um es mit den Worten eines anderen (weißen) Guides, den ich kennengelernt habe, auszudrücken: „Good old racism never dies“.
Trotzdem hat sich seit Ende der Apartheid vor dreißig Jahren viel getan. Eine breite schwarze Mittelschicht hat sich gebildet. Südafrika hat zwar nach wie vor einen langen Weg vor sich, dennoch kann man es spüren: Die von Erzbischof Desmond Tutu erfundene und von Nelson Mandela geprägte Vision der „Rainbow-Nation“, in der alle Kulturen und Ethnien friedlich mit einander unter dem Dach Südafrikas leben, ist dabei, Realität zu werden. Langsam, aber stetig.
Vor Soweto war ich übrigens in Johannesburg. Was ich dort erlebt habe, kannst du hier nachlesen >> Link <<
Alle Bilder in diesem Beitrag stammen von Sonja Warter.
Seit 2024 schreibt Sonja als Gastautorin auf dem Blog der Reisebloggerin. Als PR-Profi und Ghostwriter beruflich eher sachlich unterwegs, genießt sie es, wenn sie hier auch über ihre Lieblingsspeisen oder unnützes Wissen berichten kann. Bisherige Lieblingsländer: Marokko, Island und Kanada. Sinnlosestes Wort in ihrem Wortschatz: Sää, das finnische Wort für „Wetter“. Sie liebt Fish & Chips mit kanadischem Wildlachs und hasst französische Austern. Zweiteres kann die Reisebloggerin übrigens nicht nachvollziehen.
GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.