Transnistrien – Zu Besuch in einem Land, das es nicht gibt
Sollen wir nach Transnistrien oder sollen wir nicht? Bei der ungefähren Planung unserer Wohnmobilreise durch Rumänien und Moldau war uns der Landstrich östlich des Flusses Dnister kaum eine Erwähnung wert. Denn noch im Februar ging eine Meldung durch die Medien: Die Separatisten in Transnistrien erbitten Schutz von der russischen Regierung.
Zusätzlich ergab die Recherche auf der Webseite des österreichischen Außenministeriums die Auskunft, dass vor Reisen ins Grenzgebiet zur Ukraine abzuraten sei. Mit diplomatischer Hilfe sei nicht zu rechnen, falls es irgendwelche Schwierigkeiten gäbe.
Plötzlich im Nirgendwo in einem von Russland beschützten Gebiet festzusitzen erschien uns nicht erstrebenswert. Transnistrien war somit gestrichen.
Transnistrien, ja oder nein?
So ganz hatte ich Transnistrien dann doch nicht abgeschrieben. Und so sitzen wir im Mai in Chisinau, der Hauptstadt der Republik Moldau, in einem Kaffeehaus bei Espresso und Schokoladencroissant. Wir haben uns in einem Hotel einquartiert, das Wohnmobil parkt um die Ecke und eine Besprechung der weiteren Reiseroute steht auf dem Programm. Wir haben noch einen ganzen Tag Zeit und die meisten Sehenswürdigkeiten in Chisinau bereits abgeklappert. Ein Wink des Schicksals?
Für Transnistrien spricht, dass wir in diese Ecke der Weltkugel wohl so bald nicht kommen würden. Gegen Transnistrien spricht eine Einreise mit dem Wohnmobil. Die Lösung liegt eigentlich auf der Hand: Wir machen einen Tagesausflug samt englischsprachigen Guide.
Auf einer Buchungsplattform ermitteln wir das beste Angebot für uns und buchen kurzentschlossen für den nächsten Tag.
Transnistrien? Noch nie gehört!
Zugegeben, auch ich gehörte zu den Leuten, die mit Transnistrien nicht wirklich viel anfangen konnten. Zwar hatte ich den Namen bereits mehrmals vernommen, meistens in Zusammenhang mit dem Zusatz abtrünnige Separatisten und Russlandtreue. Doch wer wann wo und vor allem wie involviert war, war mir nicht bekannt.
Aufklärung erhoffe ich mir von Helena, meinem Guide für Transnistrien, die am nächsten Morgen pünktlich an der Rezeption steht und uns abholt. „It’s complicated“, seufzt sie, als wir im Auto sitzen und Richtung Grenze fahren, chauffiert von einer weiteren Frau, deren Namen ich mir nicht gemerkt habe.
It’s complicated
Die Region Transnistrien hat eine komplexe Geschichte, die eng mit der Geschichte Moldaus, der Sowjetunion und der Ukraine verbunden ist.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erklärten die moldauischen Behörden ihre Unabhängigkeit. Gleichzeitig erklärte Transnistrien, eine Region mit einer beträchtlichen russischen und ukrainischen Bevölkerung, seine eigene Unabhängigkeit, um sich nicht der neuen moldauischen Regierung zu unterstellen. Dies führte 1992 zu einem kurzen, aber intensiven bewaffneten Konflikt zwischen moldauischen Streitkräften und transnistrischen Separatisten, die von Russland unterstützt wurden.
Der Konflikt endete mit einem Waffenstillstand, aber der Status von Transnistrien blieb weiterhin ungelöst. Obwohl Transnistrien eigene Regierungsstrukturen, eine eigene Währung und eigene Streitkräfte besitzt, wird es international als Teil der Republik Moldau betrachtet.
Russland spielt eine bedeutende Rolle in der Region, sowohl durch die Stationierung von Truppen als auch durch wirtschaftliche Unterstützung. Der gewünschte Beitritt von Moldau zur EU wie auch der bewaffnete Überfall von Russland auf die benachbarte Ukraine tragen auf jeden Fall nicht zur Deeskalation bei.
Wobei Helena betont, dass die Einwohner Transnistriens einfach nur in Ruhe und Frieden leben wollen. Schließlich sei der Konflikt schon lange vorbei. Viele Bewohner besitzen im übrigen auch Pässe von Moldau, der Ukraine oder Russland, gesprochen wird Russisch, Ukrainisch und Rumänisch.
Wobei das mit dem Rumänisch nicht so einfach ist, erfahre ich von Helena. Denn das Rumänische wird in Transnistrien mit kyrillischen Buchstaben geschrieben.
Vorbei am Grenzposten
Nach etwa 50 Minuten Fahrzeit erreichen wir die Grenze. Kurz zuvor hat Helena nach unseren Pässen gefragt. Auf moldauischer Seite ist kein Grenzposten positioniert, schließlich existiert diese Grenze ja auch nicht aus rechtsstaatlicher Sicht. Auf der transnistrischen Seite sieht das ganze schon ein wenig anders aus. Ein Wachtposten mit russischem Abzeichen auf seiner Uniform steht neben einem ganz und gar verspiegelten Häuschen, aus der eine Hand durch eine kleine Öffnung nach unseren Pässen greift.
Es folgt ein kurzer Dialog, wir erhalten unser Reisedokument retour mit einem kleinen Beleg. Er sieht aus wie ein Kassazettel, auf dem Name, Passnummer und weitere Zahlen notiert sind. Nur unweit neben dem Grenzposten ist ein Panzer zu sehen, schlecht versteckt unter einem Tarnvorhang.
Say hello to Transnistrien!
Als erstes fallen mir in Transnistrien natürlich die kyrillischen Schriftzeichen auf. Sofort bereue ich es den Russischkurs, den ich während der leidvollen Coronazeiten begonnen habe, nicht weiter besucht zu haben. Aber immerhin kann ich das eine oder andere Straßenschild entziffern. Und so streng mit den kyrillischen Buchstaben sind die Bewohner Transnistriens dann auch wieder nicht. Gar nicht so wenige lateinische Schriftzüge schummeln sich zwischen die kyrillischen.
Was gibt es in Transnistrien zu sehen?
Gemeinsam mit Helena klappern wird die bekanntesten Sehenswürdigkeiten in Bender und in Tiraspol, der Hauptstadt Transnistriens, ab. Wobei ich mir schon die Frage stelle: Sind Panzer und Soldatenfriedhöfe wirklich als sehenswürdig einzustufen?
Erster Stopp in Bender
Unser erster Halt gilt dem Grigoriy Potyomkin-Denkmal in Bender. Potyomkin, bei uns besser bekannt unter dem Namen Potemkin, steht auf einem Sockel und blickt heroisch in die Ferne. Hinter seinem Rücken befindet sich ein Triumphbogen, dahinter ein Soldatenfriedhof. Potemkin, ein einflussreicher Staatsmann und General des Russischen Reiches, trug entscheidend zur Stärkung und Befestigung der Region bei. Das Denkmal symbolisiert seinen Einfluss und die historische Bedeutung Benders während der russischen Expansion.
Sehenswürdigkeit Nummer 2, die uns Helena in der Stadt Bender präsentiert: Ein Panzer auf einem Betonsockel, gekrönt mit der Flagge Transnistriens. Dahinter oder davor, je nachdem wie ich mich positioniere, sollte die ewige Flamme brennen, die jedoch am Tag unseres Besuches erloschen ist. Ebenfalls zu bewundern gibt es ein weißes Bauwerk samt Glocke, eine Gedenkmauer mit den Namen der Gefallenen und eine Büste von Alexander Lebed, seines Zeichen Befehlshaber der 14. Garde-Armee der russischen Streitkräfte.
Angekommen in Tiraspol
Ebenso heldenhaft wie auch bizarr geht es mit den Sehenswürdigkeiten in Tiraspol weiter. Eine Statue von Lenin steht vor dem imposanten Parlamentsgebäude, er blickt genauso entrückt in die Ferne wie Potemkin zuvor. Nach einem weiteren Zwischenstopp bei einer Gedenkstätte samt Panzer machen wir Halt bei einem Park. Dieser Park ist Katharina der Großen gewidmet, die, wie könnte es anders sein, mit einem Denkmal verewigt wurde.
Unser Besuch geht jetzt zu Fuß weiter. Wir überqueren einen Platz, wo ein weiterer Kriegsheld, diesmal auf einem Pferd reitend, dargestellt ist. Es handelt sich um General Alexander Suworow, einer bedeutenden Figur der russischen Armee, der als Gründer von Tiraspol genannt wird.
Der Platz ist schön gestaltet, zur linken Seite befindet sich ein Vergnügungspark, auf den Parkbänken sitzen Menschen und plaudern oder hören einem Sänger zu, der sich auf einer Gitarre selbst begleitet und Balladen von sich gibt. Und das in englischer Sprache, wohlgemerkt. Wir überqueren die Karl Marx Straße und landen beim Grünen Markt.
Es grünt so grün
Der Grüne Markt ist eine Sehenswürdigkeit ganz nach meinem Geschmack, nach all diesen Heldengedenkstätten. Auf dem Markt herrscht ein Gewusel, als ob sich alle Einwohner Tiraspols heute eingefunden hätten. Immer wieder werden wir angesprochen, und gefragt, ob wir nicht zum Beispiel Honig kaufen wollen, ein Produkt, das in großen Gläsern vor sich hin funkelt. Helena freut sich, das uns der Markt gefällt.
Wir spazieren einmal um den Block und entdecken kleine Kaffeebars. Wir würden gerne einen Espresso trinken und fragen Helena, ob das möglich sei. Möglich ja, meint sie, aber wir bräuchten transnistrisches Geld. So landen wir in einer Bank und wechseln rumänische Leu in transnistrische Rubel, die wir in der nächsten Cafeteria auf den Putz hauen. Um unser Geld bekommen wir sogar noch kleine Nussschnecken, die wir mit Genuss verzehren.
Und weil wir offensichtlich Hunger haben, verlegen wir die weiteren Besichtigungspunkte auf den Nachmittag und ziehen den Restaurantbesuch vor. Wir landen da, wo alle Touristen in Tiraspol landen, im „Back in the USSR“. Das Restaurant beherbergt einen kleinen Raum, der als Museum umfunktioniert wurde.
Wir nehmen allerdings draußen Platz, weil das Wetter einfach zu schön ist.
Nach dieser Pause stehen noch weitere Sehenswürdigkeiten am Besichtigungsprogramm, diesmal sind wir wieder mit dem Auto unterwegs. Wir werden zum Rathaus gebracht, wo eine Büste Lenins argwöhnisch unsere fotografischen Verrenkungen betrachtet. Rechter Hand befindet sich ein weiteres Heldendenkmal.
Ich bin erschöpft. Meine Aufnahmefähigkeit für Helden ist am Limit, doch noch sind wir nicht zurück in der Republik Moldau. Unsere Chauffeurin bringt uns nach Bender, wo der letzte Programmpunkt auf uns wartet.
Die Festung Bender
Diese Burg wirkt glatt geschliffen wie aus einem Tourismusprospekt. Wir erfahren, dass die Geschichte der Festung eng mit der des schwedischen Königs Karl XII zu tun hat. Diese Episode ging als „Handgemenge von Bender“ in die Geschichtsbücher ein. Noch einer weiteren berühmten Persönlichkeit gedenkt man in der Festung und zwar dem Baron von Münchhausen, der von hier aus seinen Ritt auf der Kanonenkugel unternommen haben soll.
Die Innenräume der Festung sind bei unserem Besuch nicht zur Besichtigung freigeben und so spazieren wir zuerst durch den Burghof und dann an der Außenmauer entlang bis zur Kanonenkugel, auf der Touristen Platz nehmen um sich fotografieren zu lassen.
Auf dieses Spektakel lassen wir uns nicht ein. Wir verlassen Transnistrien mit dem Verkehrsmittel, mit dem wir auch angereist sind, dem Auto, und sind am späten Nachmittag wieder zurück in Chisinau. Helena spendiert uns auf der Rückfahrt noch eine süße Plăcintă mit Kirschen und erklärtuns, dass diese Köstlichkeit in Rumänien, Moldau oder Transnistrien beheimatet ist.
Womit bewiesen ist: Grenzen mögen auf Landkarten oder in den Köpfen bestehen, aber in der Küche sind alle gleich – vereint durch den Geschmack der Plăcintă.
Mein Fazit: Die Entscheidung, ob eine Reise nach Transnistrien sinnvoll ist, bleibt komplex – vielleicht genau wie die Region selbst. Vorurteile und Bedenken sind verständlich, doch eine kurze Begegnung kann Klischees widerlegen. Wer also die Möglichkeit hat, eine Tagesreise mit Guide zu unternehmen, wird hoffentlich durch unerwartete Perspektiven belohnt.
12 Kommentare
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
Ein spannender Bericht, liebe Gudrun!
Ich hätte nicht sagen können in welcher Region auf der Weltkugel sich Transnistien überhaupt befindet. Schön, dass ihr euch für diesen Tagesausflug entschieden habt, er hat interessante Einblicke gewährt, vielen Dank.
Viele Grüße
Anette
Herzlichen Dank für Dein Kommentar, Anette
Es ist doch immer wieder faszinierend wie unterschiedlich Europa ist. Von Transnistrien habe ich auch noch nie gehört, hätte es geographisch aber schon in dieser Ecke angesiedelt. Ob man dorthin reisen muss, sei mal dahingestellt. Ein kleines Abenteuer war es aber allemal und ich hätte die Gelegenheit sicher auch beim Schopfe gepackt und mir das für einen Tag angeschaut. LG, Nadine
Ja, da ist immer so eine Sache, soll man, soll man nicht? Aber so hat es ganz gut gepasst für uns.
Faszinierender Bericht! Mir wäre das auch ein bisserl zu viel Militärsightseeing, aber schon interessant, so ein Gebiet mal zu erkunden. Schön wäre noch, wenn du erwähnen würdest, wo man so eine Tour buchen kann! 🙂
Ich wusste vorab nicht, dass es soviel Militärisches sein wird, wäre aber trotzdem gefahren, wenn ich es vorab gewusst hätte. Angeboten werden die Touren von allen gängigen Tour Operatoren wie GetyourGuide, Viator oder TripAdvisor, mit unterschiedlichen Programmen
Ich lese auch zum ersten Mal über dieses „Land“! Spannend darüber zu lesen. Gut das ihr den Tagesausflug gemacht habt und deine Erfahrungen teilst.
Viele Grüße
Synke
So hat es für uns am besten gepasst…
Super spannend. Man ist gleich irgendwie in eine andere Zeit versetzt, die aber im Hier und Jetzt stattfindet. Deine Reisebeschreibung hat mich richtig angefixt – ich habe jetzt so Bock, das selbst zu erleben.
Liebe Grüße aus Griechenland
Ja, das mit der anderen Zeit trifft es schon ganz gut
Sehr cooler Trip und schön beschrieben! Dieser ganze Lenin- und Helden-Kult erinnert mich auch sehr stark an russiche Innenstädte.
Ich würde gerne mal für ein paar Tage dort hinreisen, um auch den ‚Alltags-Spirit‘ in der Gesellschaft zu spüren. Das ist ja oft anders, als man meinen möchte.
Aber in der aktuellen Situation schon etwas gruselig…
Ich bin übrigens davon überzeugt, dass der museal wirkende UAZ Buchanka durchaus noch fahrtüchtig ist.
LG
Dennis
Im Alltag sieht das sicher nochmal anders und wahrscheinlich auch viel spannender aus, leider kann ich die Sprache nicht.