Mittelböhmen für Entdecker
Mittelböhmen war für mich lange ein weißer Fleck auf der Landkarte. Ich kannte nur einen einzigen Namen: Kutná Hora – und selbst das nur wegen des berühmten Beinhauses, das ich bislang nur von Fotos kannte. Als ich die Einladung zu einer Pressereise in diese Region erhielt, sagte ich zu – neugierig darauf, was mich abseits von Prag erwarten würde.

Kolín – Gotik an der Elbe
Unsere erste Station in Mittelböhmen war Kolín – eine Stadt, von der ich bis zu dieser Reise noch nie gehört hatte. Gleich nach der Ankunft gingen wir erst einmal Mittagessen: Das Naivní Restaurant (Kutnohorská 54) überraschte mit stilvollem Interieur und einer modernen, kreativen Küche. Ein gelungener Auftakt!
Gestärkt machten wir uns auf den Weg zur bedeutendsten Sehenswürdigkeit der Stadt: der gotischen Kirche des hl. Bartholomäus. Der Glockenturm war bei unserem Besuch leider nicht zugänglich, dafür erhielten wir eine eindrucksvolle Führung durch das Innere der Kirche.
Die Kirche wurde im 13. Jahrhundert gegründet und im 14. Jahrhundert unter der Leitung des berühmten Baumeisters Petr Parléř, der auch den Veitsdom in Prag gestaltete, umfassend umgebaut. Besonders bemerkenswert ist die einzigartige Sterngewölbedecke im Chorraum, die für die Spätgotik typisch ist.
Auch das Netzgewölbe, die Spitzbögen und die kunstvoll restaurierten Fenster mit Maßwerk geben einen tiefen Einblick in die Architektur dieser Epoche. Die Kirche ist nicht nur ein nationales Kulturdenkmal, sondern Teil der Bewerbung Kolíns für den Status des UNESCO-Weltkulturerbes – insbesondere wegen ihrer außergewöhnlichen gotischen Architektur und der Verbindung zu einem der bedeutendsten Architekten Mitteleuropas.
Nach der Besichtigung bummelten wir gemütlich über den Hauptplatz. Die Fassaden der Häuser sind wunderschön renoviert, farbenfroh und detailreich – viele von ihnen im Stil des Klassizismus oder der Renaissance. Es war angenehm ruhig, keine Touristengruppen, kein Trubel – einfach entspanntes Stadtleben.



Weitere Highlights in Kolín:
• Die renovierte Synagoge – heute ein kleines Kulturzentrum
• Der alte jüdische Friedhof mit teils jahrhundertealten Grabsteinen
• Der Wasserturm „Vodárna“ mit Aussichtsplattform
Unterwegs am Elbradweg
Bevor wir die nächste Stadt in Mittelböhmen erkundeten, unternahmen wir eine kleine Radtour entlang des Elbradwegs – ein echtes Highlight der Reise. Am Bahnhof in Nymburk borgten wir uns Leihfahrräder aus. Die Strecke führt über etwa zehn Kilometer gemütlich am Ufer der Elbe entlang – bei gutem Wetter bestimmt ein traumhaft schöner Abschnitt.
Leider meinte es das Wetter nicht gut mit uns: Ein Gewitter zog auf, und wir wurden klatschnass. Eine längere Pause unter einem Baum half wenig gegen den Regen – aber genau solche Momente machen Reisen erinnerungswürdig. Trotz Regen war die Stimmung gut, und ich kann mir vorstellen, wie herrlich diese Route bei Sonnenschein sein muss: Vögel zwitschern, das Wasser plätschert, kleine Ortschaften säumen den Weg.


Poděbrady – Die Stadt fürs Herz
In Poděbrady angekommen, war die Freude auf eine heiße Dusche im Hotel umso größer. Wir übernachteten im Hotel Bellevue Tlapak direkt am Kurpark. Am nächsten Morgen erkundeten wir Poděbrady zu Fuß. Besonders beeindruckend war die Führung durch die Glasmanufaktur Crystal Bohemia, wo wir den Glasbläsern bei der Arbeit zusehen durften.
Bei der Führung erfuhren wir zunächst, wie Glas entsteht – vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt. Anschließend durften wir einen Blick in die großen Werkshallen werfen. Hier sahen wir, wie Glas sowohl gepresst als auch mundgeblasen wird – und das mit beeindruckender Kunstfertigkeit. Auch das Schleifen der Glasstücke ist eine echte Präzisionsarbeit. Besonders spannend: Die Manufaktur produziert nicht nur für den heimischen Markt, sondern exportiert weltweit, unter anderem auch Pokale für internationale Sportevents – und sogar für Disney.




Weitere Tipps für Poděbrady:
• Das Schloss am Elbufer
• Die Reiterstatue von König Jiří auf dem Hauptplatz
• StreetArt an vielen Orten der Stadt
• Essen gehen im Restaurace v Pivovaře
Zu Besuch bei Bohumil Hrabal in Kersko
Da es immer noch regnete, verzichteten wir schweren Herzens auf die geplante Radtour von Sadská nach Kersko und fuhren stattdessen mit unserem Bus. Unsere erste Station war das Gasthaus Hájenka, das nicht nur für seine deftige Küche bekannt ist, sondern auch eine wichtige Rolle in der Verfilmung von Bohumil Hrabals Erzählung Slavnosti snezenek (Schneeglöckchenfeste) spielt. Der Ort atmet noch immer den Geist des Schriftstellers – es ist leicht, sich vorzustellen, wie Hrabal hier mit Jägern, Nachbarn und Freunden zusammensaß.
Nach dem Essen besuchten wir sein nahes Sommerhäuschen, das heute ein kleines, liebevoll gestaltetes Museum ist. Ich hatte vor vielen, vielen Jahren eines seiner Bücher gelesen – und obwohl ich seinen Stil mitunter herausfordernd fand, berührte mich sein sonnendurchfluteter Rückzugsort in Kersko sehr. Der Platz strahlte Ruhe und Inspiration aus – ein Ort, an dem Geschichten wachsen konnten. Ganz gleich ob Literaturfan oder nicht: Dieser Abstecher lohnt sich.


Kutná Hora – Silberstadt mit Weltkulturerbe
Nach dem Ausflug zu Bohumil Hrabal trudelten wir in Kutná Hora ein – leider im Regen. Doch das hielt mich nicht davon ab, gleich zur berühmten Kirche St. Barbara zu spazieren. Wahrscheinlich wegen des Wetters waren kaum andere Besucher da, ich hatte die imposante gotische Kirche fast ganz für mich alleine. Eine seltene Gelegenheit, diese UNESCO-Welterbestätte in Ruhe auf mich wirken zu lassen.
Am nächsten Morgen erwischte ich dann das Kontrastprogramm: strahlender Sonnenschein! Ich nutzte die frühe Stunde für einen Spaziergang und fotografierte den Dom von außen.
Nach dem Frühstück begann unsere offizielle Führung in der Kirche. Mit dem Mobiltelefon fotografiert man einen QR-Code und lädt sich so einen Audioguide aufs Handy. Ich muss ehrlich sagen: Diese Kombi aus Hören, Schauen und Fotografieren ist mir meistens zu viel. Lieber setzte ich mich in einen Kirchenbank und ließ die Stimmung auf mich wirken.


Als zweiter Programmpunkt stand das Schaubergwerk am Programm. Unsere Gruppe bekam eine tolle Führung mit vielen Erklärungen zur Geschichte des Silberabbaus. In Bergmannskleidung ging es durch enge Gänge – nichts für Menschen mit Platzangst. Besonders spannend: Unser Guide erzählte auch, woher der Name „Kutná Hora“ stammt – angeblich von der „kutna“, also der weißen Kutte, die die Bergarbeiter im Bergbau zur damaligen Zeit trugen.

Zum Abschluss ging es nach Sedlec, etwas außerhalb der Stadt. Dort besichtigten wir zuerst die barocke Kirche Mariä Himmelfahrt und anschließend das berühmte Beinhaus – wieder mit einer informativen Führung. Die kunstvolle Anordnung der Gebeine, die Kronleuchter aus Knochen, das alles wirkte zugleich skurril und doch faszinierend. Es war eine ganz andere Art der Inszenierung und nach meinem Besuch in den Katakomben in Palermo ein spannender Gegensatz.



Zusätzliche Tipps für Kutná Hora
Restaurantempfehlungen:
• Restaurace V Ruthardce (Dačického náměstí 15/10): Rustikal, gemütlich, mit einem schönen Garten – perfekt für regionale Küche in entspannter Atmosphäre.
• Restaurace Dačický (Rakova 8): Wenn du böhmische Klassiker suchst, bist du hier genau richtig.
Hoteltipp:
• Barborský Dvůr (Komenského náměstí 38/17): Stilvoll renoviert, ruhig gelegen. Besonders schön für alle, die es charmant und gleichzeitig modern mögen.
Schloss Kačina – Adelssitz im Nirgendwo
In Tschechien ist wirklich immer irgendwo ein Schloss in der Nähe – das gilt natürlich auch für Mittelböhmen. Und so führte uns unser Weg am Nachmittag nach Kačina, einem klassizistischen Schloss inmitten der Landschaft, gefühlt mitten im Nirgendwo.
Die lange Auffahrt, die ruhige Umgebung und die helle Fassade des Schlosses machten gleich Eindruck. Bei der Führung erhielten wir Einblicke in die repräsentativen Wohnräume der Familie Chotek und in die Geschichte des böhmischen Landadels.
Was mich besonders faszinierte, war die Bibliothek: hohe Regale, alte Bücher, der Duft von Papier – dieser Ort hatte für mich eine ganz besondere Aura.


Genuss und Tradition in Bohdaneč und Ostrov
Am späten Nachmittag erreichten wir Bohdaneč, ein ruhiger Ort, der sich als echter Geheimtipp für alle Genießer und Kulturinteressierten entpuppte. Zuerst machten wir Halt in einem kleinen Geschäft der Farm Agnes, wo wir Schinken, Wurstwaren und hauseigenes Bier verkosten durften – alles selbst gemacht, alles köstlich!

Im Anschluss bekamen wir eine kleine Führung durch die Destillerie des Betriebs. Und natürlich mussten wir auch ein paar der hochprozentigen Spezialitäten probieren. Handwerk, Regionalität und Qualität stehen hier ganz klar im Mittelpunkt.
Den Abschluss des Tages bildete der Besuch im größten Trachtenmuseum Tschechiens im benachbarten Ort Ostrov. Ich war ehrlich überrascht, wie faszinierend dieser Einblick in die traditionelle Kleidung Böhmens, Mährens und Schlesiens sein kann. Die farbenfrohen Stickereien, die Stoffe, die Details – jedes Stück erzählt eine Geschichte.


Zeitreise im Freilichtmuseum Kouřim
Die letzte Nacht unserer Reise verbrachten wir in Bohdaneč – herrlich ruhig, weit weg vom Trubel, genau richtig zum Abschalten. Am nächsten Morgen stand noch ein ganz besonderes Ziel auf dem Programm: das Freilichtmuseum Kouřim.
Schon beim Eintreten hatte ich das Gefühl, eine Zeitreise zu machen. Die alten Bauernhäuser, Höfe und Ställe wirken, als wären ihre Bewohner gerade erst kurz hinausgegangen. Ich liebe diesen authentischen Zugang zur Geschichte – das Museum erinnerte mich sofort an das Freilichtmuseum Niedersulz oder an den Mönchhof im Burgenland.
Besonders schön war, dass unser Besuch auf ein Wochenende fiel – dann werden im Museum alltägliche Tätigkeiten des früheren Dorflebens lebendig. Wir konnte zusehen, wie in alten Waschtrögen Wäsche geschrubbt wurde, traditionelle Süßspeisen gebacken und mit der Sense der Rasen gemäht wurde.
Wer sich für Volkskultur interessiert oder einfach einmal einen stillen, entschleunigten Ort erleben will, sollte dieses Museum unbedingt besuchen. Für mich war es ein gelungener Abschluss einer Reise voller Überraschungen.


Meine Reise durch Mittelböhmen
Schon beim Durchlesen des Programms war mir klar: Diese Reise durch Mittelböhmen würde etwas Besonderes werden – denn Tschechien hat mich bisher immer wieder überrascht.
Natürlich war Kutná Hora mit dem Dom, dem Schaubergwerk und dem Beinhaus das unbestrittene Highlight. Aber was mich wirklich begeistert hat: wie viel mehr Mittelböhmen zu bieten hat.
Vom stillen Kolín über das elegante Poděbrady bis zu den ländlichen Entdeckungen in Kačina, Bohdaneč, Ostrov und Kouřim – überall begegneten mir Geschichte, Handwerk, Tradition und eine große Portion Herzlichkeit. Es war eine Reise voller kleiner Momente, spannender Geschichten und besonderer Orte, die ich so nicht erwartet hätte.
Und gleichzeitig ist dieser Reisebericht nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was es in Mittelböhmen zu sehen gibt. Die Region steckt voller weiterer sehenswerter Städte, Schlösser, Naturparks und kultureller Schätze – viele davon warten noch darauf, von mir entdeckt zu werden.

Offenlegung: Diese Reise wurde organisiert von der Tschechischen Zentrale für Tourismus.

GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.