Der Berg der Kreuze in Litauen
Auf unserer Wohnmobilreise durch das Baltikum führte uns der Weg zu einem Ort, der mir noch lange im Gedächtnis bleiben sollte: dem Berg der Kreuze in Litauen. Während unserer Rundreise machten wir hier Halt – und was zunächst unscheinbar wirkte, entpuppte sich als einer der eindrucksvollsten Stopps der gesamten Reise.
Erste Eindrücke – klein, groß oder riesig?
Geparkt und übernachtet haben wir direkt auf dem offiziellen Parkplatz neben dem Hügel. Praktisch, denn so hatten wir Zeit, den Ort zu verschiedenen Tageszeiten zu erleben. Als ich den Berg, oder besser gesagt das Hügelchen, zum ersten Mal sah, dachte ich: „Das ist alles?“ Von Weitem wirkt er eher unscheinbar und mini. Doch sobald man sich nähert und die ersten Schritte auf die schmalen Wege setzt, eröffnet sich eine völlig neue Dimension.



Ein Labyrinth aus Kreuzen
Kreuze, wohin man blickt: groß und klein, kunstvoll geschnitzt oder aus zwei schlichten Holzlatten gezimmert. Manche verziert mit Blumen, Madonnen, Jesusstatuen, Fotos oder persönlichen Botschaften, andere schlicht und verwittert. Wir laufen quer über den Hügel, probieren neue Pfade aus und fotografieren und fotografieren. Bald stellte sich ein Gefühl ein, als würde man in einem Labyrinth aus Symbolen, Glauben und Geschichte umherwandern.
Zwischen den Kreuzen blüht es blau und gelb – Blumen, die zart duften und einen wunderbaren Kontrast zum dunklen Holz bildeten. Einige Stellen wirken gepflegt, fast wie kleine Gärten, andere wild überwuchert. Diese Mischung aus Ordnung und Chaos, aus Schönheit und Vergänglichkeit, macht den Berg sehr speziell.



Geschichte und Symbolik
Der Berg der Kreuze gilt als einer der wichtigsten Pilgerorte Litauens. Er ist auch weit mehr als nur ein religiöser Ort – er ist ein Symbol des Leidens, des Gedenkens und zugleich der Hoffnung. Einer alten Legende nach gehen Wünsche in Erfüllung, wenn man ein Kreuz auf dem Hügel aufstellt. Deshalb kommen nicht nur Trauernde hierher, sondern auch Brautpaare oder frischgebackene Eltern hierher, um ihren Dank zu zeigen.
Seine Ursprünge reichen bis ins 19. Jahrhundert zurück, als nach Aufständen gegen die russische Herrschaft erste Kreuze für gefallene Freiheitskämpfer errichtet wurden. Später stellten Angehörige auch Kreuze für die Opfer von Deportationen und Zwangsarbeit in der Stalin-Zeit auf.
Den sowjetischen Machthabern war dieser Ort ein Dorn im Auge: Mehrmals wurden die Kreuze mit Bulldozern plattgewalzt, doch schon am nächsten Tag begannen die Menschen, neue aufzustellen. Damit wurde der Hügel zu einem Symbol des Widerstands, des Glaubens und der litauischen Identität. Heute sollen es weit über 100.000 Kreuze sein.



Magische Abendstimmung
Am Nachmittag erlebe ich den Berg als friedlich und beinahe meditativen Ort. Die Sonne steht tief, zwischen den Kreuzen summen Insekten, und die Schatten werden länger. Als es dunkel wird, ändert sich die Atmosphäre komplett. Ein kühler Wind zieht über den Hügel, pfeift durch die Felder und bringt die kleinen Marienstatuen zum Schaukeln. Die Minikreuze an den Ketten beginnen leise zu klirren, Metall schabt an Holz, und irgendwo klappert etwas, als würde jemand unsichtbar über die Kreuze streichen. Es sind Geräusche, die sich nicht wirklich zuordnen lassen – kaum hörbar und doch so präsent, dass sie mir einen leichten Schauer über den Rücken jagt.
Je länger wir bleiben, desto stiller wird es. Nur der Wind ist zu hören – und dann wieder diese unregelmäßigen Laute, die aus dem Nichts zu kommen scheinen. Ein leises Knacken unter den Füßen, ein Rascheln zwischen den Kreuzen. Irgendwo ruft ein Vogel, heiser und kurz, bevor wieder völlige Stille einkehrt. Ich bekomme eine Gänsehaut, nicht vor Angst, sondern vor dieser eigentümlichen Mischung aus Ehrfurcht und Beklemmung. Und dann, als wir fast denken, der Berg hält den Atem an, raschelt es plötzlich im Gebüsch – eine kleine Maus huscht hervor und lässt mich erschrocken zusammenzucken. In diesem Moment wirkt der Hügel zugleich geheimnisvoll und tröstlich, ein Ort zwischen Weltlichem und Spirituellem. Morbid? Vielleicht. Aber vor allem magisch und tief berührend.

Warum sich ein Besuch lohnt
Der Berg der Kreuze ist kein klassisches „Sightseeing-Highlight“, sondern ein Ort, den man fühlen muss. Er vereint Gegensätze: friedlich und zugleich unheimlich, chaotisch und doch schön, traurig und dennoch hoffnungsvoll. Genau diese Mischung macht ihn so einzigartig.
Wer mit dem Wohnmobil unterwegs ist, kann direkt am Parkplatz übernachten – ein idealer Ausgangspunkt, um den Hügel bei Tag und Nacht zu erleben. Tagsüber wirken die Kreuze still und andächtig, im Zwielicht hingegen fast lebendig. Und wer sich Zeit nimmt, zwischen ihnen umherzuwandern, entdeckt nicht nur unzählige Fotomotive, sondern spürt auch die besondere Energie, die von diesem Ort ausgeht – eine, die noch lange nachhallt, wenn man schon längst weitergereist ist.



Weitere Informationen zum Berg der Kreuze
Lage
Der Berg der Kreuze (Kryžių kalnas) liegt rund 10 Kilometer nördlich von Šiauliai, direkt an der Straße Richtung Riga (A12). Von Vilnius sind es etwa 220 Kilometer, von Riga rund 130 Kilometer.
Anreise & Parken
• Großer asphaltierter Parkplatz direkt am Besucherzentrum.
• Für Wohnmobile geeignet, Übernachtungen sind möglich.
• Parkgebühr je nach Größe des Autos
Öffnungszeiten & Eintritt
• Der Zugang zum Hügel ist jederzeit möglich.
• Eintritt frei.
Besonderheiten
• Wer möchte, kann im Besucherzentrum ein Kreuz erwerben und es selbst aufstellen.
• Besonders stimmungsvoll ist ein Besuch in den frühen Morgenstunden oder nach Einbruch der Dunkelheit.
• Der Berg ist eine Gedenkstätte, entsprechend respektvoll sollte man sich verhalten.
Tipp
Unbedingt genügend Zeit zum Umherwandern einplanen. Aus der Ferne wirkt der Hügel klein, die wahre Dimension wird erst beim Spazierengehen sichtbar.

12 Kommentare
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GUDRUN KRINZINGER
Reiseblog von einer reiselustigen, strickbegeisterten, lesesüchtigen und fotografiewütigen Oberösterreicherin mit Hauptsitz Wien und Alte Donau.
Seit 2010 schreibe ich über meine Reisen auf dem Blog Reisebloggerin.at.
Wirklich sehr spannend! Ich wollte diesen Berg unbedingt auf unserem Roadtrip durch die baltischen Staaten 2020 besuchen. Blöderweise kam uns dann Covid dazwischen und auch meine erneute Planung 2021 fiel wegen Corona ins Wasser. Seitdem hatte ich das Thema Litauen erstmal abgehackt. Vielleicht brauchte ich ja nochmal deinen Anstoß, um eine Reise zum Berg der Kreuze anzugehen. VlG, Nadine
Das gesamte Baltikum ist sooooo schön! Dank Deiner Initiative habe ich es ja zumindest geschafft, diesen Beitrag fertigzustellen! Mein persönlicher Liebling ist ja Estland!
Hallo Gudrun,
sehr interessant! Ich kenne den Ort nur von Rundreisebeschreibungen, war aber selbst nie vor Ort. Ich muss doch mal das Baltikum besuchern.
Liebe Grüße
Rente
Liebe Renate, unbedingt! Es sind so schöne Länder und man wirklich viel unternehmen!
Liebe Gudrun
Was für ein besonderer Ort – und du hast die Atmosphäre perfekt eingefangen! Diese Mischung aus Geschichte, Spiritualität und ein bisschen Gänsehaut kommt richtig rüber. Leider kenne ich von Litauen bisher nur die Hauptstadt. Du lieferst gute Gründe, das demnächst zu ändern.
Viele Grüße
Carola
Die Hauptstadt fand ich wunderschön!
Das ist ja wirklich ein ganz besonderer Hügel. Ich liebe besonders die Symbolik und die Geschichte dahinter. Mit deinem visuellen Text hast du mich förmlich mitgenommen und mich in die Stimmung dort eintauchen lassen.
Vielen Dank, dass du diesen Ort mit uns geteilt hast.
Liebe Grüße
Lisa
Danke, Lisa!
Wir waren selbst mit unserem Camper dieses Jahr bei den Kreuzen und fanden es ziemlich spannend. Als Fotografin, gibt es da jede Menge „zu tun“. War wirklich spannend da.
Liebe Grüße, Lisa
Als Fotografin ist es sicher noch um einiges spannender!
Wow, was für eine Geschichte! Diesen Ort möchte ich auch gern mal besuchen. Danke für die Inspiration, Gudrun. Ich musste bei deinem Artikel an den Wallfahrtsort Altötting in Oberbayern denken. Im Rundgang der Wallfahrtskapelle hängen unzählige gestiftete Tafeln und zudem Krücken, Herzen, Hände und Füße aus Wachs … Geschichten, die von Leid und Trost erzählen. Und von Wundern, die die schwarze Madonna dort angeblich vollbracht hat. Man kann sogar ein Holzkreuz um die Kapelle tragen. Mich überkam dort auch eine Art Schauer, gemischt mit Irritation. Gleichzeitig waren viele dort abgebildete Geschichten berührend. Aber der Ort, den du beschreibst, liegt ja in die Natur eingebettet. Das hat sicher nochmal eine ganz andere Wirkung. Schöne Fotos außerdem! Liebe Grüße, Esther
Ich war 2011 auf dem Berg der Kreuze und war sehr beeindruckt. Wie Du gesagt hast, am Anfang wirkt er aus der Ferne unscheinbar, aber vor Ort ist er einfach nur wow. Es ist unfassbar wie viele Kreuze da sind. Meine Lieblingskreuze waren eins aus Lego und Überraschungseiern 😀 (hier die Bilder dazu https://sehnsuchtsbummler.de/2025/08/21/ein-foto-ruckblick-auf-das-litauen-und-lettland-von-2011/)
Liebe Grüße vom Sehnsuchtsbummler